Autograf: Stadtmuseum Dresden, Museen der Stadt Dresden, Schriftgutsammlung, Sign. SMD_SD_2021_00190
Digitale Edition: Museen der Stadt Dresden – Sammlungen Online

Sr. Wohlgeb.
Herrn B. Hausmann
in
Hannover.

franco1


Cassel den 2ᵗᵉⁿ
December 1832.

Geehrtester Freund,

Bey unserer, vorgestern erfolgten Rückkehr aus Gandersheim, wo die ganze Spohrsche Familie mit allen ihren Nebenzweigen zur Feyer eines seltenen und schönen Familienfestes, der goldenen Hochzeit meiner Eltern2, versammelt war, finde ich Ihren lieben Brief vor und freue mich zu erfahren, daß Sie sämmtlich wohl sind und daß die Ausflucht nach Pyrmont bey dem kalten, unfreundlichen Wetter, ohne Winterkleider, keine dauernden unangenehmen Folgen gehabt hat.
Wir kamen glücklich zu meinem Bruder3 nach Holzminden, verweilten 2 Tage dort, ohne jedoch des schlechten Wetters wegen, eine einzige Excursion in die schöne Umgegend machen zu können und kehrten dann bey etwas besserm Wetter über Carlshafen nach Cassel zurück.
Meine erste Arbeit war, die große Sinfonie4 zu vollenden, die ich in Nenndorf5 begonnen hatte. Vor 4 Wochen, im 2ᵗᵉⁿ Abonnement-Concerte (die dieses Jahr aber nicht für Rechnung unsrer Wittwenkasse, sondern für die Hofkasse(!) gegeben werden,) habe ich sie zum 1ᵗᵉⁿ mal aufgeführt und mich überzeugt, daß die neuen Combinationen und ungewöhnlichen Zusammenstellungen, zu welchen mich das Gedicht geführt hatte, wirklich ausführbar sind (woran ich früher einigermaßen gezweifelt hatte,) wenn nur genug Proben und diese mit dem gehörigen Ernst gemacht werden.6 Doch bleibt der 2ᵗᵉ Satz, wo Wiegenlied, Tanz und Ständchen, jedes in anderer Taktart und anderen Tempo zusammen erklingen, nach allen Proben immer eine schwierige Aufgabe, und wenn der Dirigent nicht ruhig und eisenfest im Takte bleibt, so kann das geübteste Orchester umwerfen. – Die Sinfonie ist vor 8 Tagen auch in Frankfurt im Museo unter Guhr’s Direction aufgeführt worden, ich habe aber noch keine Nachricht wie es ausgefallen ist.7 Nur so viel we[iß] ich, daß 3 Proben stattgefunden haben.
Später schrieb ich eine kl. Cantate8 zur goldene Hochzeit meine Eltern für Chor-Soli (für meine 3 Töchter9) mit obligater Begleitung von Pianoforte und [Violine] (für meine Frau10 und mich.) Diese ha[ben w]ir dann vor ein paar Tagen sollenniter11 in Gandersheim aufgeführt und ein Concert12 folgen lassen, in welchem die Spohrsche Familie noch einmal alle ihre Künste loßließ.13
Jetzt schreibe ich ein 3ᵗᵉˢ Doppelquartett.
Mit dem Haartuch hat es gar keine Eile; es kommt noch im Frühjahr zeitig genug. Ich bedaure nur, daß Sie so viel Mühe damit haben. Maurer’s Wegzug aus Deutschland geht auch mir sehr nahe. Man ist jezt eben nicht gestimmt, den Russen etwas gutes zu gönnen!
Die herzlichsten Grüße von uns allen an die lieben Ihrigen.
Mit wahrer Freundschaft stets ganz

der Ihrige
L. Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Hausmann an Spohr, 24.11.1832. Hausmann beantwortete diesen Brief am 12.03.1833.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „CASSEL / 2 DEC 1832“. Außerdem befindet sich neben dem Adressfeld der Vermerk: „ret 12 Mrz / Georg empfohlen“.

[2] Ernestine und Carl Heinrich Spohr.

[3] Carl Spohr.

[4] Die Weihe der Töne.

[5] Bad Nenndorf.

[6] Vgl. Spohr an Speyer, 05.11.1832; „Vorläufiges über L. Spohr‘s vierte Symphonie“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 35 (1833), Sp. 13ff.

[7] Vgl. Speyer an Spohr, 01.12.1832.

[8] Festgesang WoO 89.

[9] Emilie Zahn, Ida Wolff und Therese Spohr.

[10] Dorette Spohr.

[11]solenn, l. solenniter, feierlich, festlich, herrlich, prächtig“ (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörtebuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 400).

[12] Hier gestrichen: „aufgeführt“.

[13] Vgl. Spohr an Speyer, 14.12.1832.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (12.10.2021).