Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,147
Druck 1: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 124 (teilweise)
Druck 2: Horst Heussner, Die Symphonien Ludwig Spohrs, Phil. Diss. Marburg 1956, Anh. S. 32f. (teilweise)

Cassel 5ten
November 1832.

Geliebter Freund,

Beykommend erhalten Sie allso mein neues Opus, welches ich nochmals (namenlich die Partitur, da ich keine Abschrift habe) Ihrer gütigen Obhuth empfehle.
Gestern fand im Theater die erste Aufführung der Sinfonie statt und die Neugierde hatte eine Menge Menschen herbeygezogen, die, nach dem gegeben Beyfall zu urtheilen, großen Antheil an dem Werke nahmen. Es ist auch, gut executirt, sehr faßlich, wenn auch nicht gleich alle Beziehungen auf das Gedicht vom Publiko1 aufgefaßt werden. Um dieß zu erleichtern, hatte ich, obgleich das Gedicht hier sehr bekannt ist, eine Andeutung des Inhalts der 4 Sätze auf den Zettel setzen lassen und ich mögte wohl rathen, in Frankfurt ein Gleiches zu thun, da diese Andeutung der Art und Weise, wie ich das Gedicht in Töne zu geben bemüht war, näher bezeichnet. Ein Verlesen des Gedichts vor der Aufführung oder Vertheilen desselben im Saal müßte aber doch stattfinden.
Eine gute Aufführung dieser Sinfonie nicht blos der Noten, sondern auch aller vorgeschriebenen Nuancen vom p und f und selbst solcher, die nicht vorgeschrieben sind und welche jedes mal nach der Eigenthümlichkeit des Lokals modifizirt werden müssen, ist sicher keine leichte Sache und ich bitte daher nochmals, daß Sie für recht genaue Proben sorgen wollen. Damit einzelne Stellen recht oft, ohne großen Zeitverlust wiederholt werden können, sind in allen Stimmen Buchstaben zum Wiederanfangen gesetzt. Einer solchen öfteren Wiederholung bedarf besonders der Mittelsatz des 1sten Allegros, wo zu dem Quellengemurmel der 1sten Geige die Vogelstimmen der beyden Flöten, Clarinette, Oboen und Horn kommen, und wo die Stärke eines jeden einzelnen genau nach den Übrigen abgemessen werden muß, damit der Zuhörer das Total des Zusammenklingens genau auffassen kann. Bey diesen Solis sind besonders die der Terzflöte und Clarinette schwer und müssen daher im Voraus eingeübt werden. Ferner ist der Anfang des 2ten Theils (Aufruhr der Elemente,) für die Geigen sehr schwer und bedarf daher einer öftern Wiederholung. Die schwerste Stelle im Ensemble ist aber die des 2ten Satzes, wo zu dem Violoncellsolo die vorgeschriebenen Taktarten und das wechselnde Tempo kommen. Diese Stelle haben wir hier sehr oft wiederholen müssen, bis sie ruhig und ohne Schwanken ging! – Bey der ersten Probe nahm ich einen Metronom zu Hülfe, durch den ich die 16tel Bewegung der verschiedenen Taktarten hörbar schlagen ließ. Dieß erleichterte den Musikern die Eintheilung sehr. – Schlüßlich will ich noch auf zweierley aufmerksam machen:
1.) daß das 1ste Allegro ja nicht geschlept werde und 2tens daß der Schlußsatz der Sinfonie recht sanft und beruhigend vorgetragen werde, weshalb selbst die ff nicht rauh und hart seyn dürfen. Im 3ten Satz, dem Marsch, wird leicht geschlept, weshalb der Dirigent immer ein wenig treiben muß.
Theilen Sie diese Bemerkungen gefälligst Her[rn] Kapellmeister Guhr mit und sagen Sie ihm, da[ß] es bey einem so erfahrenen Dirigenten derselben zwar nicht bedürfe, daß er sie aber dem Komponisten, dessen Interesse sich immer auf das letz[te] Werk concentrire zu Gute halten und deshalb gütigst entschldigen müsse.
Herzliche Grüße an die Ihrigen. Stets von ganzem Herzen der Ihrige. L. Sp.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Speyer, Wilhelm
Erwähnte Personen: Guhr, Carl
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Die Weihe der Töne
Erwähnte Orte: Frankfurt am Main
Kassel
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1832110502

https://bit.ly/

Spohr



Dieser Brief schließt an Spohr an Speyer, 26.10.1832 an. Speyer beantwortete diesen Brief am 01.12.1832, wobei sich der Postweg offensichtlich mit Spohrs nächstem Schreiben vom 14.12.1832 überschnitt.

[1] Gestrichen: „sogleich”.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (04.03.2016).

Cassel, 5. November 1832.

Beikommend erhalten Sie also mein neues Opus welches ich nochmals Ihrer gütigen Obhut empfehle. Gestern fand im Theater die erste Aufführung der Sinfonie statt und die Neugierde hatte eine Menge Menschen herbeigezogen, die, nach dem gegeben Beifall zu urteilen, großen Anteil an dem Werke nahmen. Es ist auch, gut exekutiert, sehr faßlich, wenn auch nicht gleich alle Beziehungen auf das Gedicht vom Publikum aufgefaßt werden ...

Kassel, den 5. Nov. 1832

... Beikommend erhalten Sie allso mein neues Opus, welches ich nochmals Ihrer gütigen Obhut empfehle. Gestern fand im Theater die erste Aufführung der Symphonie statt und die Neugierde hatte eine Menge Menschen herbeigezogen die, nach dem gegeben Beifall zu urteilen, großen Anteil an dem Werke nahmen. Es ist auch, gut exekutiert, sehr faßlich, wenn auch nicht gleich alle Beziehungen auf das Gedicht vom Publikum aufgefaßt werden. Um dies zu erleichtern, hatte ich, obgleich das Gedicht hier sehr bekannt ist, eine Andeutung des Inhalts der vier Sätze auf den Zettel setzen lassen und ich möchte wohl raten, in Frankfurt ein Gleiches zu thun, da diese Andeutung der Art und Weise, wie ich das Gedicht in Töne zu geben bemüht war, näher bezeichnet. Ein Verlesen des Gedichts vor der Aufführung oder Verteilen desselben im Saal müßte aber doch stattfinden.
Eine gute Aufführung dieser Symphonie, nicht blos der Noten, sondern auch aller vorgeschriebenen Nuancen vo p und f und selbst solcher, die nicht vorgeschrieben sind und welche jedes mal nach der Eigentümlichkeit des Lokals modifiziert werden müssen, ist sicher keine leichte Sache und ich bitte daher nochmals, daß Sie für recht genaue Proben sorgen wollen. Damit einzelne Stellen recht oft, ohne großen Zeitverlust wiederholt werden können, sind in allen Stimmen Buchstaben zum Wiederanfang gesetzt. Einer solchen öfteren Wiederholung bedarf besonders der Mittelsatz des ersten Allegros, wo zu dem Quellengemurmel der ersten Geige die Vogelstimmen der beyden Flöten, Clarinette, Oboen und Horn kommen, und wo die Stärke eines jeden einzelnen genau nach den Übrigen abgemessen werden muß, damit der Zuhörer das Total des Zusammenklingens genau auffassen kann. Bei diesen Solis sind besonders die der Terzflöte und Clarinette schwer und müssen daher im Voraus eingeübt werden. Ferner ist der Anfang des zweiten Teils (Aufruhr der Elemente,) für die Geigen sehr schwer und bedarf daher einer öftern Wiederholung. Die schwerste Stelle im Ensemble ist aber die des zweiten Satzes, wo zu dem Violoncellsolo die vorgeschriebenen Taktarten und das wechselnde Tempo kommen. Diese Stelle haben wir hier sehr oft wiederholen müssen, bis sie ruhig und ohne Schwanken ging! – Bei der ersten Probe nahm ich einen Metronom zu Hilfe, durch den ich die sechzehntel Bewegung der verschiedenen Taktarten hörbar schlagen ließ. Dieß erleichterte den Musikern die Eintheilung sehr. – Schließlich will ich noch auf zweierlei aufmerksam machen:
1.) daß das erste Allegro ja nicht geschlept werde und
2.) daß der Schlußsatz der Symphonie recht sanft und beruhigend vorgetragen werde, weshalb selbst die ff nicht rauh und hart sein dürfen. Im dritten Satz, dem Marsch, wird leicht geschleppt, weshalb der Dirigent immer ein wenig treiben muß. ...