Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Uta Goebl-Streicher, „,Färbung, Schmelz, Schattierung‘ oder starker Ton. Der Antagonismus zwischen Wiener und englischer Mechanik am Beispiel der Klavierbauerfamilie Streicher, in: Chopin et son temps, hrsg. v. Vanja Hug und Thomas Steiner (= Publikationen der Schweizerischen Musikforschenden Gesellschaft II,54), Bern u.a. 2016 , S. 171–200, hier S. 192 (teilweise)
Inhaltsangabe 1: Christoph Öhm-Kühnle, „Er weiß jeden Ton singen zu lassen“. Der Musiker und Klavierbauer Johann Andreas Streicher (1761-1833) – kompositorisches Schaffen und kulturelles Wirken im biografischen Kontext. Quellen – Funktion – Analyse, Phil. Diss. Tübingen 2008, S. 63
Inhaltsangabe 2: Alexander Langer und Peter Donhauser, Streicher. Drei Generationen Klavierbau in Wien, Köln 2014, S. 109
An Sr Hochwohlgeborn
Herrn Louis Spohr
Churfürstlich Hessischer erster
Kapellmeister in
Cassel
Hochverehrtester, schätzbarster Herr und Freund!
Mit großem Vergnügen haben wir (nebst dem beiliegenden Wechsel, durch welchen der ganze Betrag berichtiget worden) die Nachricht von der glücklichen Ankunft des Patent Piano, erhalten. Noch erwünschter aber war der Beifall den Sie, als ein so großer, kompetenter Richter, über das Instrument selbst und dessen Ton äußern. Wäre es nicht die ganz alleinige Erfindung meines Sohnes, ich würde so laut als nur möglich in den Ausspruch welchen Clementi vor 4 Jahren that, einstimmen, daß nun beinahe alle Wünsche des wahren, ächten Clavierspielers erfüllt sind. Eine neuere Erfindung meines Sohnes, überlasse ich umso lieber ihm selbst zur Beschreibung, als es ihm nicht nur sehr angenehm seyn kann mit Ihnen darüber zu sprechen, sondern auch der Erfinder seine Gedanken und vorgehabten Zwecke am leichtesten erklärt.
Mit der Bitte uns alle Ihrer Frau Gemahlin bestens empfehlen zu wollen und in der Hoffnung Sie recht bald zu sehen, beharre mit wahrer Verehrung
Ihr gehorsamst ergebenster
A. Streicher
Wien am 24ten April
1832
Ew. Wohlgeborn
habe ich die Ehre zu benachrichtigen, daß ich bey der Zusammenstellung der neuen Mechanik hauptsächlich bemüht war, die Vorzüge der Pfte mit Hammerschlag von Oben auf eine leichtere Art zu erzielen, indem mir die Flügel mit Hammerschlag von Oben zu viele persönliche Mühe, und einen damit in keinem Verhältnisse stehenden geringen Gewinn abwerfen. Wir lassen deßhalb unsere früheren Patentflügel vor der Hand ausgehen, und werden wenn der Vorrath zu Ende, dann nur gegen fixe Vorausbestellung und Preis Erhöhung von Cf 50 pr Stck welche verfertigen.
Was die neuen Patentflügel betrifft, so bezieht sich das ausschließliche Privilegium auf eine neue Zusammenstellung des englischen Mechanismus; wir waren dabey bemüht, das Pochen dieser Mechanik, welches durch die Rückwirkung des Anschlages des Hammers, auf den Hammerstuhl entsteht, durch einen elastischen Hammerstuhl zu beseitigen, indem die Hämmer nun gleichsam isolirt von der Tastatur und dem Corpus sind, und der Hammerstuhl tonlos, todt wird.1
Eine zweite Verbesserung glauben wir die Erfindung eines beweglichen Fangers nennen zu dürfen, welcher uns nun erlaubt, den Hammerstuhl rückwärts an der Tastatur anbringen zu können, wodurch die Spielart so leicht und präcis wie bei der gewöhnlichen Wiener Mechanik wird, und der Anschlag einer Taste mit abwechselndem Finger bei noch so ofter Wiederholung nie versagt; ein Übelstand der bey den englischen Flügeln mit Recht gerügt werden darf. Die Hämmer schlagen von unten an; das Stimmen geschieht wie bey den gewöhnlichen Instrumenten; die Dämpfung ist liegend, ganz geräuschlos, kann nie stecken bleiben; ungefähr wie bey dem letztgesandten Patentflügel; nur sehr schön fürs Auge. Die Hämmer gehen in mit Casimir gefütterten Kapseln, ungefähr auch wie bey den Patentflügeln älterer Art. Der Ton rivalisirt bis in die höchste Region mit dem der Flügel mit Hammerschlag von Oben, wird aber an diesen im Allgemeinen noch vorgezogen.
Ihr Geehrtes vom 20ten d. ist uns heute zugekommen. Es freut mich ungemein daß der Zufall mir gerade gestattet unter vier dergleichen noch vorhandenen Instrumenten wie Sie uns eines in Auftrag geben Auswahl treffen zu können, und ich zweifle nicht daß das Beste in circa 14 Tagen von hier wird abgehen können.
Wegen Zahlung an Hr Haslinger werden wir seiner Zeit nach Ihrem Wunsche verfahren.
Mit dem Wunsche daß es Ihnen und der schätzbaren Familie recht wohl gehe, und wir Sie diesen Sommer hier begrüßen können zeichnet mit ausgezeichneter Hochachtung
Ew Wohlgeboren
ganz ergebenster
J. Bapt. Streicher
Autor(en): | Streicher Streicher, Andreas Streicher, Johann Baptist |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | |
Erwähnte Kompositionen: | |
Erwähnte Orte: | |
Erwähnte Institutionen: | |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1832042447 |
Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Andreas Streicher, 20.04.1832. Der nächste erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Spohrs an Andreas Streicher, 24.08.1832.
Einer Notiz von Dorette Spohr zufolge, traf dieser Brief am 02.05.1832 bei Spohr ein: „den 20sten Aprill 1 Brief nach Wien, (die Bestellung des Instruments betreffend – [Rth.] 3 [Sgr.] 8 [Kpf.] / den 2t May, Brief von Wien (den Empfang obigen Briefes bescheinigend – [Rth.] 6 [Sgr.] – [Kpf.]“ (Dorette Spohr, Haushaltsbuch, Ms., Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. eph. 01/08).
[1] Johann Baptist Streicher hatte 1831 einen „verbessert engl. Mechanismus“ („Ueber Streicher’s Leistungen bei Gelegenheit der ersten Gewerbeproducten-Ausstellung zu Wien im J. 1835“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 38 (1836), Sp. 129–133, hier Sp. 130), nämlich eine hinterständige Stoßzungenmechanik, zum Patent angemeldet (Druck der Patentschrift in: Uta Goebl-Streicher, Das Reisetagebuch des Klavierbauers Johann Baptist Streicher 1821–1822, Tutzing 2009, S. 292f.; vgl. dies., „,Färbung, Schmelz, Schattierung‘ oder starker Ton. Der Antagonismus zwischen Wiener und englischer Mechanik am Beispiel der Klavierbauerfamilie Streicher, in: Chopin et son temps, hrsg. v. Vanja Hug und Thomas Steiner (= Publikationen der Schweizerischen Musikforschenden Gesellschaft II,54), Bern u.a. 2016 , S. 171–200, hier S. 193; Öhm-Kühnle, S. 20; Langer und Donhauser, S. 291ff.).
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Uta Goebl-Streicher (28.05.2020).