Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Scheibler:3
Faksimile: Wolfgang Arbogast, „Sieben Briefe von Johann Heinrich Scheibler (1777-1837) an Louis Spohr (1784-1859). Der Krefelder Fabrikant und Musikliebhaber an den Komponisten und Kapellmeister in Kassel“, in: Heimat. Krefelder Jahrbuch 63 (1992), S. 157-168, hier S. 164 (teilweise)
Druck: ebd., S. 163f.

Herrn Capellmeister Spohr
zu
Cassel

frey1


Crefeld am 3t Febr 1832.

Geehrtester Herr Capellmeister

Da ich Ihre Theilnahme an meinen acustischen Arbeiten kenne, so will ich Sie mit dem gegenwärtigen Stande derselben bekannt machen.
Weder in Leipzig noch in Berlin und Paris habe ich bis dato durchgedrungen. Man scheint meine Versicherungen, als Hypothesen zu betrachten nennt mich einen verdienstvollen Acusticker, und damit punctum.
Vielleicht ist das meiner Sache dienlich, denn es hat mich darauf gelenkt, den Beweis der Richtigkeit meiner Gabeln in ihnen selbst u. durch sie selbst2 zu suchen, und zu finden.
Ich habe die Viberationen meines a dadurch unfehlbar festgesetzt, daß ich von A bis a, 50 Stimmgabeln habe, deren Entfernung an Vibrationen, sich am (kupfernen, höchst genauen, selbst gemachten) Metronom genau nachweisen. Finden sich von A bis a, 434 Vib., so hat natürlich A 434 und a 868, finden sich 434½ so hat a 869 V.
Dies brachte mich auf die Sicherstellung der Unterschiede welche meine Accorde, mit mathematischen haben müssen, wenn die Grundtöne gleich wären. Durch die Gewißheit meines a könnte ich diese Unterschiede für meine sämtlichen Accorde berechnen, und sagen, wenn Sie richtig sind, so mußten 4 Stöße erfolgen, bei folgenden Metronom Nummern –


 


 

 

 

 
Das Metronom N°n
müsste sein bei
von 869 Vib:
Meine Gabeln
zeigen aber folgen-
de Pendants des Metronom:
bei A C# E 66.25 67.4 also +1.1

 
B D F 70.16 69.6
 
- 0.6

 
H D# F# 74.33 72.2
 
- 2.1

 
C E G 78.75 80 –
 
+ 1.25

 
C# F G# 83.44 86.6
 
+ 3.2

 
D F# A 88.40 90.4
 
+ 2 –



Die größte Unrichtigkeit meiner Accorde ist also Pendelgrade 3.2, oder (60 Pendelgrade = 8 Vib.) gleich Vib. 0.45 – der Accord – Cis-Dur – aber hat auf denen 3 Gabeln zusammen – 3
C# 547.43
 
F 689.72 Vib. 2057.38
G# 820.23
 

Jeder welcher Gabeln kaufft, darf also nur wissen bei welchem Metronom Nummer, 4 Stöße bei jedem Dreiklang sein müssen, um selbst zu untersuchen, ob sie richtig sind.
Ich habe Gabeln unter denen 50, welche ich F Gabeln nenne, und welche 8 Vib. tiefer sind als meine unisono, oder scala Gabeln. Wenn man ein Instrument4 so viel höher stimmt als diese Gabeln, daß jedesmal 4 Stöße erfolgen bei Pendel N 60 – so trifft man den Ton weit genauer als wenn man nach denen unisono Gabeln stimmt. (Vom unisono ist niemand gewiß.)
Ein Flügel nach diesen F Gabeln, aber unisono5 gestimmt, hat6 von a bis A = 4 Vib. mehr als er haben sollte, da von beiden A a7 8 Vib abgezogen sind, und A nur 4 verlieren darf, wenn a, 8 verliert – dadurch aber daß die 4 Vib. gleichmäßig von A bis a vertheilt sind, kommt es, daß ein Flügel nach diesen F Gabeln gestimmt unendlich unendlich reiner ist, als der feinste Stimmer je gestimmt hat.
Es ist natürlich leicht, am Pendel zu sehen welche Töne eines Flügels8 aus dem Verhältnis gewichen sind, wenn auch alle höher oder tiefer geworden sind, und diese zu ordnen, wenn man nicht Zeit hat alles umzustimmen.
Ich wünschte Sie könnten die Sache selbst untersuchen, allein dazu weiß ich vor der Hand kein Mittel.
In meinem Hause werden wöchentlich Instrumental 4tte gemacht. Die Wirbel der Streichinstrumente habe ich sehr vervollkomnet, indem sich in die Löcher, in welchen die Wirbel stecken, flache Ringe oder Büchsen von einliegendem Kupferblech machte. Die blanke Seite muß den Wirbel berühren, welche diese Form, [Zeichnung mit der Maßzahl „7“ links, „8“ rechts], nicht diese, [Zeichnung mit der Maßzahl „7“ links, „10 o 12“ rechts]haben, und vom weichem Holz (Nußbaum) sein muß. Es scheint dieß erfüllt alle Bedingungen – Wirbel aber mit kupfernen dünnen Büchsen überzogen an den reibenden Stellen, & ¾ Linie9 dick, sind unfehlbar. Der Versuch mit Kupferblech ist so leicht, und der Gang der Wirbel so schön, daß ich Ihnen denselben anrahte.
Empfehlen Sie mich den werthen Ihrigen ganz ergebenst.

Hch Scheibler

Ich darf es Ihnen wohl sagen verehrter Freund, daß wenig Virtuosen auf Streichinstrumenten, der Reinheit meines Flügels in gehaltenen Noten gleich kommen – in schnellen! – ? – – Denken Sie ob man den Differenz von Vib. 0.45 auf 2057 p. Secunde noch hören kann. Ja ich glaube daß kein Mensch den Unisono im langsamsten Tempo genau findet – NB ohne Pendel oder Microscop.
Ich fürchte daß auch Sie meine Behauptungen für zu kühn halten, wenn Sie aber zweifeln, so schicke ich Ihnen die Pendelnummern meiner Accorde, von unserm Stadtuhrmacher bescheinigt – Sie sind von ihm aufgenommen, und die meinigen noch vortheilhafter, da ich nur 2.5 = Vib. 0.33 bei Cis F Gis zu viel habe.
Vielleicht ist es Ihnen interessant zu wissen daß die Differenzen des temperierten Accordes gegen den mathematischen
sind 5te 32 M 32 m
wie – 1. 7 10
oder doch so nahe, daß die Unterschiede von 0.027/0.033 keine sind, da auf irgend eine Art bemerkbar wären, denn diese V 0.027/V 0.033 Diff., sind auf Vib. 2180 nichts, und nur in Zahlen etwas.

Autor(en): Scheibler, Heinrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Altona
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1832020347

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Scheibler an Spohr, 22.02.1831. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Scheibler an Spohr, 03.05.1833.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich links oben der Poststempel „CREFELD V. / 3 / 2“; unter dem Adressfeld der Stempel „5 FEB 1832“.

[2] „u. durch sie selbst“ am linken Seitenrand eingefügt.

[3] Hier gestrichen:
„A      434.30
C#     547.43      Vib. 632.9
E       652.57“

[4] Hier gestrichen: „wozu“.

[5] „aber unisono“ über der Zeile eingefügt.

[6] Hier ein Wort gestrichen.

[7] „A a“ über der Zeile eingefügt.

[8] „eines Flügels“ über der Zeile eingefügt.

[9] Längenmaß.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (14.06.2021).