Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,144
Druck 1: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 107f. (teilweise)
Druck 2: Horst Heussner, Die Symphonien Ludwig Spohrs, Phil. Diss. Marburg 1956, Anh. S. 30 (teilweise)
Druck 3: Herfried Homburg, „Politische Äußerungen Louis Spohrs. Ein Beitrag zur Opposition Kasseler Künstler während der kurhessischen Verfassungskämpfe“, in: Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde 75/76 (1964/65), S. 545-568, hier S. 556 (teilweise)

Cassel den 5ten December
1831.
 
Geliebter Freund,
 
Ihr Brief, der die Bestätigung eines Gerüchts enthält, was mir schon vor mehreren Monaten zu Ohren kam, hat mich recht erschreckt, denn so bedeutend hielt ich Ihren Verlust nicht!1 Getröstet bin ich einigermaßen dadurch, daß Sie ihn mit soviel philosophischem Gleichmut ertragen, und daß meine Vermutung, Sie hätten sich zu tief in Papierspekulationen eingelassen, ungegründet ist. Da ich Sie immer davor gewarnt hatte, so wollte ich auch nicht bei Ihnen anfragen, inwiefern das Gerücht wahr sey. – Am schmerzlichsten muß es Ihnen sein, von einem Manne betrogen worden zu sein, dem Sie stets das unbedingteste Vertrauen schenkten. Es möge dieß vor allem Sie nicht zum Menschenfeinde machen, wenn es Sie auch anfangs die Welt schwärzer sehen läßt, als sie ist. – Ein wenig geht dies aus Ihrer Ansicht der neuesten Weltereignisse hervor. In Hessen, Baden, Braunschweig, Sachsen pp. ist es doch entschieden viel besser geworden und wird noch besser werden, und wenn der Egoismuß Veranlassung fand, grell hervorzutreten, besonders bei den Bevorrechtigten, so sieht man doch auch ein Erwachen von Gemeinsinn und Vaterlandsliebe, wie man es in neuerer Zeit gar nicht für möglich gehalten hätte. Unter den Frankfurter Geldseelen darf man es freilich nicht suchen, die sind zu sehr von der Bundestagsgesinnung influenzirt. Daß aber außerhalb Frankfurts, selbst in Preußen und Österreich ein ganz anderer Geist erwacht ist, dieß giebt sich allenthalben kund, und der Bund wird ihn nicht wieder ersticken können!
Mit unserm Theater sieht es nun sehr mißlich aus und ich habe viele Sorgen für die unglücklichen Menschen, die Ostern ohne Brot seyn werden. Der Prinz behauptet die Mittel nicht zu haben, das Theater fortzuführen und will daher, es soll ein Versuch gemacht werden ob sich ein Unternehmer finden wird. Dieß ist bey den Bedingungen, die ihm gestellt werden müssen, rein unmöglich und so werden wir, wenigstens eine Zeitlang ohne Theater seyn, bis den Prinzen die Langeweile peinigt, die nöthigen Fonds zum Wiedererwecken des Theater herbey zu schaffen. Mir will er besonders wohl, doch habe ich ihn nicht bereden können, das Theater auf die bisherige Weise fortzuführen. Er hat eine neue Theateradministration aus dem Grafen Hessenstein, Feige und mir ernannt, die als Collegium alle Theaterangelegenheiten zu entscheiden hat.2 Im jetzigen Augenblick, wo die neue Administration mit einem Kündigungsakt beginnen muß, hätte ich den Beytritt gewiß abgelehnt, wenn ich in der neuen Stellung nicht hoffen dürfte, für die armen Entlassenen mehr bewirken zu können. Auch denke ich es wird bald wieder ein Hoftheater zu administriren seyn, und dann kann ich auch in artistischer Hinsicht thätiger für das Institut seyn, wie bisher.
Ihrem Empfohlenen3 gebe ich, da alle meine Stunden besetzt sind, einstweilen jeden Sonntag Morgen eine Stunde. Er scheint Talent zu haben, ist aber noch weit zurück. –
Sollte Hr. Pf. Friedrich den Taufschein nicht bald schicken, so bitte ich, ihn nochmals zu erinnern.
Die herzlichsten Grüße an Ihre liebe Frau und Kinder. Ich bin recht begierig, die älteste einmal wieder zu hören! Nächsten Sommer hoffe ich Sie jedenfalls zu sehen, wenn uns die Cholera verschont.
Morgen beginnen unsere Quartettparthien. Ich werde sie mit einem neuen Quartett in d moll eröffnen. Leben Sie wohl. Ganz
 
der Ihrige
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Speyer, Wilhelm
Erwähnte Personen: Feige, Karl
Friedrich Wilhelm III. Preußen, König
Friedrich, Gerhard
Hessenstein, Wilhelm von
Speyer, Antonie
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 83
Erwähnte Orte: Frankfurt am Main
Kassel
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1831120502

https://bit.ly/

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen verschollenen Brief von Speyer an Spohr. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 09.10.1832.
 
[1] Da dieser Brief verschollen ist, lässt sich über die Art der Verluste von Speyer derzeit nichts ermitteln. Speyers Sohn Edward merkt nur knapp an, dass Speyers Geschäfte in Offenbach offensichtlich nicht erfolgreich waren (Edward Speyer, Wilhelm Speyer, S. 30) und dass sich zur Zeit dieses Briefs Speyers Vermögensverhältnisse verschlechterten (ebd., S. 108).
 
[2] Vgl. „Kassel 16 Nov”, in: Allgemeine Zeitung <München> (1831), S. 1306f., hier S. 1307; Reinhard Lebe, Ein deutsches Hoftheater in Romantik und Biedermeier. Die Kasseler Bühne zur Zeit Feiges und Spohrs (= Kasseler Quellen und Studien 2), Kassel 1964, S. 154.
 
[3] Noch nicht identifiziert.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (03.03.2016).

Cassel 5. Dezember 1831.
 
... In Hessen, Baden, Braunschweig, Sachsen usw. usw. ist es doch entschieden viel besser geworden und wird noch besser werden, und wenn der Egoismus Veranlassung fand, grell hervorzutreten, besonders bei den Bevorrechtigten, so sieht man doch auch ein Erwachen von Gemeinsinn und Vaterlandsliebe, wie man es in neuerer Zeit gar nicht für möglich gehalten hätte. Unter den Frankfurter Geldseelen darf man es freilich nicht suchen, die sind zu sehr von der Bundestagsgesinnung beeinflußt. Daß aber außerhalb Frankfurts, selbst in Preußen und Österreich ein ganz anderer Geist erwacht ist, dies gibt sich allenthalben kund, und der Bund wird ihn nicht wieder ersticken können ...
[...]
 
Cassel 5. Dezember 1831.
 
Ihr Brief, der die Bestätigung eines Gerüchts enthält, was mir schon vor mehreren Monaten zu Ohren kam, hat mich recht erschreckt, den für so bedeutend hielt ich Ihren Verlust nicht. Getröstet bin ich einigermaßen dadurch, daß Sie ihn mit soviel philosophischem Gleichmut ertragen, und daß meine Vermutung, Sie hätten sich zu tief in Papierspekulationen eingelassen, ungegründet ist. Da ich Sie immer davor gewarnt hatte, so wollte ich auch nicht bei Ihnen anfragen, inwiefern das Gerücht wahr sei. Am schmerzlichsten muß es Ihnen sein, von einem Manne betrogen worden zu sein, dem Sie stets das unbedingteste Vertrauen schenkten. Es möge dieses vor allem Sie nicht zum Menschenfeind machen, wenn es Sie auch anfangs die Welt schwärzer sehen läßt, als sie ist. Ein wenig geht dies aus Ihrer Ansicht der neuesten Weltereignisse hervor ...

Kassel, den 5. Dezember 1831
 
... Mit unserm Theater sieht es nun sehr mißlich aus und ich habe viele Sorgen für die unglücklichen Menschen, die Ostern ohne Brot sein werden. Der Prinz behauptet die Mittel nicht zu haben, das Theater fortzuführen und will daher, es soll ein Versuch gemacht werden ob sich ein Unternehmer finden wird. Dieß ist bei den Bedingungen, die ihm gestellt werden müssen, rein unmöglich und so werden wir, wenigstens eine Zeitlang ohne Theater sein, bis den Prinzen die Langeweile peinigt, die nöthigen Fonds zum Wiedererwecken des Theater herbei zu schaffen. Mir will er besonders wohl, doch habe ich ihn nicht bereden können, das Theater auf die bisherige Weise fortzuführen. Er hat eine neue Theateradministration aus dem Grafen Hessenstein, Feige und mir ernannt, die als Collegium alle Theaterangelegenheiten zu entscheiden hat. Im jetzigen Augenblick, wo die neue Administration mit einem Kündigungsakt beginnen muß, hätte ich den Beitritt gewiß abgelehnt, wenn ich in der neuen Stellung nicht hoffen dürfte, für die armen Entlassenen mehr bewirken zu können. Auch denke ich es wird bald wieder ein Hoftheater zu administriren sein, und dann kann ich auch in artistischer Hinsicht tätiger für das Institut sein, wie bisher ...