Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Leipzig am 14t Nov. 1831.
Mein sehr theurer lieber Freund,
Sie beehren mich in Ihrem lieben Briefe vom 10 d. mit einem Auftrag, den ich zum Theil ausgeführt habe, zum Theil aber ausführen werde.
Dem. Pistor ist auf dem Theater im Ganzen genommen eine angenehme Erscheinung in Soubrettenfache und sie wird daher unter dem großen Haufen immer einen bedeutenden Anhang finden. Ihre Stimme ist nicht unangenehm aber ungleich und sie ist zu schnell durch die Schule gelaufen aber durch keine schlechte. Es fehlt ihr die Gleichmäßigkeit in der Ausführung und manches gelingt ihr recht gut, maches aber mißglückt ihr dagegen.1 Da sie aber im ganzen genommen einen guten Effekt auf dem Theater macht so habe ich nicht an gestanden sie auf zu fordern Ihnen ihre Bedingungen mit zu theilen, was sie thun wird nachdem sie sich darüber mit ihrem Großvater, der, glaube ich, in Weimar ist berathen haben wird, als etwa in 8-10 Tagen. Sie hat hier, wie ich erfahren, 1500 Rth, und wie sie mir sagte auch bereits Anfrage von Dresden, würde es aber vorziehen nach Cassel zu gehen.
Wir haben hier, außer der Ihnen bekannten Mad. Pirscher (Traut)2 noch eine Dem. Wüst, die anfängt sich dem Gesang zu widmen und diesen Dec.(???) als Elvira in Don Juan auftreten wird; Stimme und Talent soll etwas versprechen. Bey tiefen Bass ist ein gewisser Pögner hier der als Schuspieler nichts werth ist u als Sänger sich nicht viel über das gewöhnliche erhebt.3 Die Stimme ist gut ohne ausgezeichnet kräftig zu seyn. Hammermeister ist Bariton hat eine schlechte Schule und gemeine Stimme, spielt aber besser als er singt. Er ist sehr von sich ein genommen und imponirt dem großen Haufen durch sein Bellen, daher man ihn hier für einen Künstler hält. Der Tenorist Schrader hat eine hübsche Stimme mit der er etwas leisten könnte wenn er Lust zum Studiren hätte.
Nun komme ich aber auf einen jungen Mann der Theologie studirte, sich jedoch jetzt ganz der Musik widmet. Er hat die schönste Bariton Stimme die ich jetzt kenne und ist ein ausgebildeter Sänger wie es wenige giebt im großartigen deklamatiorischen Gesange wie im getragenen und im neu italienischen; Triller, Passagen und alles steht ihm zu Gebot. Die Stimme hat keine ausgezeichnete Stärke, füllt aber den hiesigen Konzertsaal vollkommen aus u wird daher auch auf jeden Fall stark genug für das Theater seyn – Er hat recht hübsche musikal Kenntnisse und manches Lied gelungen komponirt, was ich übrigens nicht sowohl als Beweis für die ersteren anführe, sondern nur weil es von Einsicht und Idee zeugt. Auf dem Theater hat er sich noch nicht versucht, aber bey seinem regen Geiste u seiner körperlichen Gewandheit, verbunden mit einer hübschen Gestalt und angenehmen Gesichtbildung wird es ihm nicht schwer fallen sich bald als Schauspieler geltend zu machen.
Mit diesem H. Schester(???), der übrigens ein bescheidener junger Mann ist, habe ich vorläufig gesprochen u ihn geneigt gefunden sich ganz der Bühne zu widmen, doch hat er sich 8 à 10 Tage Zeit ausbedungen, als Bedenkzeit und um sich mit seinem abwesenden Vater zu berathen, und wird mir dann seinen Entschluss mit theilen. Er würde das erste Jahr sich wohl mit 500 Rth. begnügen, dann aber wenn er sich als Schauspieler mehr ausgebildet haben wird, seine Ansprüche steigern.
Wie das hiesige Personal hinsichtlich der Gagen gestellt ist werde ich wohl durch Dorn erfahren, der jedoch heute nicht zu sprechen war, u es Ihnen dann mit theilen.
Nach4 Erfurt zu gehen wurde ich verhindert, und da ich später erfuhr daß ich in meiner Freude Sie, mein theurer Freund, dort einmal wieder zu sehen getäuscht worden wäre, hat es mich nicht geschmerzt, denn es soll nicht sehr erbaulich dort gewesen seyn.5
Nun, mein lieber, lieber Freund, muss ich etwas gegen Sie aus sprechen, das mich im Innersten ersschüttert. Mein gutes liebes Jettchen ist mir am 4t v.M. durch den Tod entrissen. Sie wurde, nachdem sie eine Freundin, deren Kinder von den Masern darnieder lagen, besucht und diesen geliebkost hatte, selbst davon befallen, und unterlag wenige Tage nachher auf Veranlassung einer Erkältung die sich sich6 im Vertrauen auf ihre starke Konstitution zu gezogen. Was ich dadurch gelitten und noch leide kann ich Ihnen nicht sagen. Fast 19 Jahre waren vergangen als Sie und Ihre theure Gattin, der ich mich angelegentlichst empfehle, Zeugen unserer ersten Bekanntschaft waren und am 16t May k.J. wären wir 19 Jahre verheyrathet gewesen. Sie starb 38 Jahre alt u ich habe eine theure, theure Geliebte verloren, die Kunst wie treue Jüngerin.
Badauern Sie Ihren armen einsamen Freund und erhalten Sie ihn lieb.
Ganz der Ihrige
C. Weisse
Autor(en): | Weiße, Carl |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Dorn, Heinrich Hammermeister, Heinrich Pirscher, Agnes Pistor, Marie Pögner, Wilhelm Schester(???) Schrader (Tenor) Weiße, Henriette Wüst, Henriette |
Erwähnte Kompositionen: | Mozart, Wolfgang Amadeus : Don Giovanni |
Erwähnte Orte: | Erfurt Leipzig |
Erwähnte Institutionen: | Hoftheater <Kassel> Hoftheater <Weimar> Musikfeste des Thüringisch-Sächsischen Vereins <verschiedene Orte> Stadttheater <Leipzig> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1831111448 |
Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Spohr an Weiße, 10.11.1831.
[1] Vgl. „Leipzig, am 3ten Octbr.“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 31 (1833), Sp. 679-683, hier Sp. 680f.
[2] Agnes Pirscher wurde bei einem Gastauftritt in Leipzig aus ihrem noch laufenden Vertrag in Kassel heraus engagiert (vgl. ebd., Sp. 680).
[3] Vgl. ebd.
[4] Hier gestrichen: „Nordh(?)“.
[5] Vgl. „Erfurt, am 6ten Aug.“, in: ebd., Sp. 560ff., zu Spohrs Abwesenheit dort Sp. 561.
[6] Sic!
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.10.2021).