Autograf: Österreichische Nationalbibliothek Wien (A-Wn), Sign. Autogr. 7/100-7
Druck 1: Edgar Istel, „Fünf Briefe Spohrs an Marschner”, in: Festschrift zum 90. Geburtstage Sr. Exzellenz des Wirklichen Geheimen Rates Rochus Freiherrn von Liliencron, Leipzig 1910, S. 110-115, hier S. 112f.
Druck 2: Herfried Homburg, „Politische Äußerungen Louis Spohrs. Ein Beitrag zur Opposition Kasseler Künstler während der kurhessischen Verfassungskämpfe“, in: Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde 75/76 (1964/65), S. 545-568, hier S. 556 (teilweise)

Sr. Wohlgeb
dem Herrn Kapellmeister
H. Marschner
in
Hannover.
 
franco.
 
 
Cassel den 26sten August
1831.
 
Wohlgeborner
Hohgeehrter Herr,
 
Für die gütige Übersendung des Buchs Ihrer Oper sage ich den besten Dank. Ich wünschte sie nun gleich verschreiben und in Scene setzen zu können; leider sind wir aber in einem solch betrübten Provisorium, sowohl was unsere künftige Existenz, als auch die Besetzung unsres Personals betrifft, daß wir an nichts neues denken können, bis über uns entschieden ist. Unsere Primadonna1 ist, wie Sie gehört haben werden, zum Dank, daß sie hier etwas gelernt hat, während der Ferien durchgegangen und hat in Leipzig Engagement genommen.2 Zum Glück kam Madame Rosner hieher, sonst hätten wir die Oper ganz müssen aufhören lassen. So vegetirt nun unser Theater bey stets leeren Häusern fort und geräth täglich in eine größere Schuldenmasse, von der man nicht weiß, wer sie bezahlen wird. Gestern früh haben wohl die Landstände sowohl, wie die Stadt Cassel, neue Deputationen an den Kurfürst abgesandt um seine Rückkehr zu verlangen, und sollen diesesmal sogar einige Drohungen von Regentschaft mit einfließen lassen. Hilft dies wieder nichts und verweigert er fortwährend die zur Erhaltung des Theaters nöthigen Fonds so müssen wir binnen kurzem ganz aufhören, noch ehe einmal der, zum gänzlichen Aufhören des Theaters bestimmte Zeitpunkt, nämlich Ostern, herangekommen ist.3 - Mit welchem Wiederwillen ich jezt an meine Theatergeschäfte gehe, können Sie leicht denken! Nichts, als das alte abgedroschene Zeug und dies mit der Hälfte des frühern Chorpersonals und mit vermindertem Orchester!
Beyliegend die gewünschte Quittung.
Mit vorzüglicher Hochachtung
 
Ew. Wohlgeb.
ergebenster
Louis Spohr
 
NS. Das Buch Ihrer Oper behalte ich, wenn Sie es nicht gebrauchen noch zurück; weil ich immer noch der Hoffnung nicht entsage, daß es mit uns besser werden wird und ich dann wieder an etwas neues denken darf.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Marschner, Heinrich
Erwähnte Personen: Pirscher, Agnes
Rosner, Flora
Wilhelm II. Hessen-Kassel, Kurfürst
Erwähnte Kompositionen: Marschner, Heinrich : Des Falkners Braut
Erwähnte Orte: Kassel
Leipzig
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1831082615

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Marschner an Spohr. Der nächste überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Marschner, 04.05.1833, aus dem sich noch ein vorgehender, derzeit verschollener Brief von Marschner an Spohr erschließen lässt.
 
[1] Agnes Traut, später verh. Pirscher.
 
[2] Dies widerspricht der qualitativen Einschätzung: „[...] doch sah man sich in den an das Engagement der Traut geknüpften Erwartungen auf die Dauer enttäuscht und verfügte schließlich in Flora Rosner, der Gattin des Tenors, für die Jahre 1831 und 1832 über eine kaum mehr als durchschnittliche dramatische Sopranistin” (Reinhard Lebe, Ein deutsches Hoftheater in Romantik und Biedermeier. Die Kasseler Bühne zur Zeit Feiges und Spohrs (= Kasseler Quellen und Studien 2), Kassel 1964, S. 109).
 
[3] Vgl. Lebe, S. 153f.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (14.10.2016).