Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr Wohlgeb.,
Herrn Kapellmeister Spohr
in
Cassel
 
fro.
 
 
Herrn Kapellmeister Spohr in Cassel.
 
Leipzig den 26. Nov. 1830.
 
Ein Auftrag, welcher uns von Herrn Ferdinand Ries in Frankfurt a/M ertheilt worden ist, giebt uns Gelegenheit, Ihnen folgende Mittheilungen zu machen. Wir nehmen an, daß Sie unterrichtet sind
von einer Vereinigung der deutschen Musikalienverleger, welche sich in der Ostermesse 1829 constituirte, um durch Privatübereinkunft das Verlagseigenthum sicher zu stellen1: Es existiren leider in Deutschland noch keine erschöpfenden Gesetze gegen den Nachdruck in Musikalien und es hatte sich ein Zustand der Rechtlosigkeit nach und nach gebildet, der allen Besitz unsicher machte und das ganze Geschäft dem Untergange nahe brachte. Der erwähnte Privatverein, welcher in der Ostermesse dieses Jahres einige Zusatzartikel zu der Conventionalacte festsetzte, hat sich bereits als wohlthätig bewährt. Da er jedoch der gesetzlichen Autorität ermangelt, da er auch in einzelnen Gliedern eine Opposition gefunden hat, so bleibt eine entscheidende Maasregel von größtem Umfange wünschenswerth, für die Herren Componisten sowohl als für die mit ihnen in Wechselwürkung stehenden Verleger. Herr Ferdinand Ries, der sich am Sitz der hohen deutschen Bundesversammlung befindet und dort die gebührende, vorzügliche Achtung genießt, wurde uns als geneigt bezeichnet, den guten Zweck zu befördern. Er hat unsere Erklärungen auf das Bereitwilligste durch das Anerbieten erwiedert, im Namen der gerühmtesten deutschen Componisten eine Denkschrift von geschickter Feder ausarbeiten zu lassen, (seine Absicht geht hier auf Herrn Gottfried Weber,) und solche, nachdem sie mit einer Anzahl Unterschriften versehen ist, beim hohen Bundestage einzureichen. Er verspricht sich einen günstigen Erfolg, wie ihn Herr von Göthe bei Herausgabe seiner Werke erreichte. Als ein vorhergehender nothwendiger Schritt erscheint Herrn Ries eine Aufforderung an die Herren Componisten von dreien aus deren Mitte, namentlich durch Sie, verehrter Herr Kapellmeister, durch Herrn Hummel und durch Herrn Ries. Die Aufforderung hat Herr Ries entworfen, wie folgt.
 
„Wie sehr die deutschen Componisten ihr geistiges Eigenthum durch den Mangel eines geregelten Rechtszustandes in den Ländern des deutschen Staatenbundes verletzt sehen müssen, ist allgemein bekannt, auch in öffentlichen Blättern oft besprochen worden. Diejenigen Verleger, welche noch Originalmanuscripte von einigem Umfang würdig honoriren und herausgeben, werden durch die Nachdruckfabriken der Freibeuter so sehr um die Früchte ihrer Unternehmungen gebracht, daß, ohne eine Maasregel der Sicherstellung, keiner mehr ein tüchtiges Werk annehmen kann. Wenn sich die Verleger auf bloße Tagesneuigkeiten und Tändeleien beschränken, wird die Kunst nicht gefördert, den Componisten fehlt die Anregung zum Schaffen, und der Ruhm deutscher Kraft und Gründlichkeit in der Composition muß endlich ganz zu Grunde gehn. Die Unterzeichneten sind einig geworden, dem hohen deutschen Bundestage eine Denkschrift zu überreichen, worin um Beschleunigung des 18ten Artikels2 der deutschen Bundesacte, (soweit die Musikliteratur dabei betheiligt ist,) um ein erschöpfendes Gesetz über das geistige Eigenthum an Musikwerken im gesammten Deutschland gebeten wird. Frankreich, England und die Niederlande besitzen schon lange Gesetze, wie wir Deutschen sie noch lange schmerzlich vermissen. Auf Ihre gütige Mitwirkung ist in doppelter Hinsicht gerechnet. Erstens werden Sie durch Gegenwärtiges versucht, dem Mitunterzeichneten Ferdinand Ries in Frankfurt a/M schriftlich Vollmacht zu ertheilen, Ihren Namen mit unter die erwähnte Denkschrift zu setzen. 2.) Wenn Ihre Verhältnisse es gestatten, möchten Sie Ihren Fürsten um die Gnade bitten, daß er seinem Gesandten am hohen Bundestage specielle Instruction ertheile, für Ausarbeitung des von uns allen erbetenen Gestzes sich thätig zu interessiren. Wir hoffen zuversichtlich, Ihnen recht bald von einem günstigen Resultate Nachricht ertheilen zu können.“3
 
Herr Ries stellt Ihnen und Herrn Kapellmeister Hummel ganz frei, an dieser Aufforderung zu ändern, hinzuzusetzen oder wegzunehmen, was Ihnen nützlich scheinen möchte. So auch stellt er Ihnen die nachfolgende Liste der Herren Componisten in gleicher Absicht zu.
Dies wäre der im Eingange erwähnte Auftrag, welchen wir uns gegen Sie und zu gleichem Tage gegen Herrn Kapellmeister Hummel zu entschuldigen haben. Wir fügen schließlich die Bitte an, daß es Ihnen gefallen möge, unserm Sekretair Hofmeister bald Nachricht zu ertheilen, ob Sie der Aufforderung an die Componisten Ihre Unterschrift geben. Derselbe hat von Herrn Ries den speciellen Auftrag, den kleinen Aufsatz in Briefform lithographiren zu lassen und mit facsimilirten Unterschriften der drei Herren, alsdann die Versendung zu besorgen.
Alle Adressen, welche Sie außer den bezeichneten vierzig noch angeben, werden dann die Einladung gleichfalls zugesendet bekommen.
Wir empfehlen uns Ihrer Wohlgewogenheit hochachtend und ergebenst
 
Breitkopf & Härtel.
Wilhelm Härtel.
C.F. Peters.
Friedrich Hofmeister
H.A. Probst.
 
Namen der Componisten.
Carl Blum in Berlin.
Carl Czerny in Wien.
Dotzauer in Dresden.
Eybler in Wien.
4 Grund in5 Meiningen.
Max Eberwein in Rudolstadt.
Krommer in Wien.
Kuhlau in Copenhagen.
Kalliwoda in Donaueschingen.
Bernhard Klein in Berlin.
Löwe in Stettin.
Marschner in Hannover.
Mangold in Darmstadt.
Mendelssohn in Florenz.
Meyerbeer in Paris.
Moscheles in London.
Morlacchi in Dresden.
Conradin Kreutzer in Wien.
Nägeli in Zürich.
Maurer in Hannover.
Lindpaintner in Stuttgart.
J.P. Pixis in Paris.
v. Poissl in München.
Reissiger in Dresden.
Bernhard Romberg in Hamburg.
Aloys Schmitt in Frankfurt a/M.
Jacob Schmitt in Hamburg.
Rummel in Wiesbaden.
v. Seyfried in Wien.
Stadler in Wien.
Spontini in Berlin.
G.A. Schneider in Berlin.
Seidel in Berlin.
Friedrich Schneider in Dessau.
Stunz in München.
Strauss in Carlsruhe.
Denys6 Weber in Prag.
Gottfried Weber in Darmstadt.
Leidesdorf in Florenz.
Diabelli in Wien.7



Der letzte erhaltene Brief in der Korrespondenz zwischen Spohr und Breitkopf & Härtel ist Gottfried Härtel an Spohr, 05.09.1823. Es folgt am nächsten Tag Breitkopf & Härtel an Spohr, 27.11.1830.
 
[1] Gedruckt in: T.H., „Der Musikalien-Nachdruck in rechtlicher und staatspolizeilicher Beziehung“, in: Cäcilia 13 (1831), S. 90-106, hier 96-99 sowie Friedemann Kawohl, Urheberrecht der Musik in Preußen (1820-1840) (= Quellen und Abhandlungen zur Geschichte des Musikverlagswesens 2), Tutzing 2002, S. 237f., vgl. dort auch S. 175-181.
 
[2] „Die Bundesversammlung wird sich bei ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreiheit und die Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck beschäftigen.“ („Die teutsche Bundesacte vom 8. Juny 1815“, in: Karl Heinrich Ludwig Pölitz, Die Constitutionen der europäischen Staaten seit den letzten 25 Jahren, Bd. 2, Leipzig 1817, S. 93–104, hier S. 104).
 
[3] Inwieweit dieses Schreiben verbreitet wurde, ist derzeit nicht bekannt.
 
[4] Von anderer Hand, vermutlich Spohrs, „E.“ (für „Eduard“) mit Bleistift ergänzt.
 
[5] Hier gestrichen: „Hildburghausen“.
 
[6] Von anderer Hand, vermutlich Spohrs, mit Bleistift korrigiert zu: „Dionys“.
 
[7] Von anderer Hand, vermutlich Spohrs, an alphabetisch entsprechender Stelle mit Bleistift eingefügt:
„Baldewein in Cassel
A. Hesse in Breslau
Hauptmann in Cassel
W. Grund in Hamburg
Guhr in Frankft. a/M
Mathaei in Leipzig
Maiseder in Wien.
Marx in Berlin.
v. Mosel in Wien.
Nohr in Meiningen
Schnabel in Breslau.
Schwencke in Hamburg
J.P. Schmitt in Berlin.
Schnyder von Wartensee in Frankfurt.“
 
Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Wolfram Boder (19.11.2019).