Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,142
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 106f. (teilweise)

Cassel den 15ten Nov.
1830

Geliebter Freund,

Bey den ungeheuren Begebenheiten der letzten Zeit habe ich oft an Sie gedacht und mir gewünscht, mich mit Ihnen darüber unterhalten zu können! Gelesen habe ich in den Zeitungen, daß Sie auch den Heldenrock angezogen und sich an die Spitze der Offenbacher Bürgergarde gestellt haben.1 Mein Patriotismus hat sich mit künstlerischen Leistungen begnügen müssen; erst haben wir die Berufung der Stände im Theater mit einem Festspiel gefeiert; dann habe ich mit der Kapelle dem Bürgermeister Schomburg, dessen Beredsamkeit man dieses fröhliche Ereignis zu danken hat, eine solenne Nachtmusik gebracht und zuletzt bey Eröffnung des Landtages eine große Kirchenmusick mit beyden Gesangvereinen und allem, was in Cassel geigen und blasen kann, aufgeführt. Nun werden wir, hoffe ich, bald die Publikation der Verfassung zu feiern haben und da wird es wohl wieder festliches im Theater geben!2
Unterdessen gebe ich am Cäcilientage mit dem Gesangverein ein Concert zum Besten der Armen, und werde bey der Gelegenheit wieder öffentlich spielen.
Seit Mitte des Sommers baue ich noch ein 2stöckiges Haus an das meinige an, hauptsächlich um einen Musiksaal zu bekommen. Dieser Bau ist so weit gediehen, daß ich spätestens am 2ten Februar, wo wir unsere silberne Hochzeit feyern, den Saal mit einer Musickaufführung einzuweihen gedenke.3 – Seit ich Ihnen zum letztenmal schrieb, arbeite ich an einer großen Violinschule und ich hoffe mit dem ersten Entwurf, der freilich dann wohl noch einmal überarbeitet werden muß, bis zu Ende des Jahrs fertig zu werden. – Die neue Oper ist noch einige mal gegeben worden und hat sich in der Gunst des Publikums erhalten. Graf Redern in Berlin hat sie verschrieben und versprochen, sie gleich nach Neujahr geben zu lassen. Hält er Wort, so reise ich hin, um sie selbst zu dirigiren. Endlich habe ich die Oper von Ries vertheilen können. Am Neujahrstage wird sie gegeben werden. Wenn Sie Ries sehen, so sagen Sie i[hm] dies nebst herzlichem Gruß. – An Wild’s Stelle ist Rosner auf 2½ Jahre engagirt worden; an die Stelle unserer abgehenden Primadonna, der Madame Roller-Schweitzer haben wir aber noch niemand.4
Für das Frühjahr bin ich zur Direktion dreier Musikfeste, in Hannover, Potsdam und Erfurt eingeladen worden und werde, wenn das Befinden meiner Frau nicht eine Wiederholung der Marienbader-Kur nöthig macht, gern hingehn. –
Ich hoffe nun auf einen recht langen Brief und Nachrichten über Ihr und der Ihrigen Befinden.
Den beyliegenden Wechsel bitte ich einzukassiren und das Geld zur Deckung Ihrer, für mich gemachten Auslagen zu nehmen. Da ich nicht weiß, wie viel ich Ihnen eigentlich schuldig bin, so bitte ich um eine Nachricht darüber. – An die lieben Ihrigen die herzlichsten Grüße. Mit inniger Freundschaft stets
Ihr
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Speyer, Wilhelm
Erwähnte Personen: Redern, Friedrich Wilhelm von
Roller-Schweizer, Louise
Rosner, Franz
Schomburg, Carl
Spohr, Dorette
Wild, Franz
Erwähnte Kompositionen: Ries, Ferdinand : Die Räuberbraut
Spohr, Louis : Der Alchymist
Spohr, Louis : Violinschule
Erwähnte Orte: Berlin
Erfurt
Hannover
Kassel
Marienbad
Offenbach
Potsdam
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1830111502

https://bit.ly/

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 31.07.1830. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 30.06.1831, aus dem sich ein derzeit verschollener Brief von Speyer an Spohr erschließen lässt.

[1] Vgl. z.B. „Offenbach, 30. September”, in: Bayreuther Zeitung (1830), S. 789

[2] Vgl. Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 150f., Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 182ff. 

[3] Vgl. Spohr, Lebenserinnerungen, Bd. 2, S. 151f.; ders., Selbstbiographie, S. 184f. 

[4] Die Sängerin musste zurücktreten, nachdem sie sich über die zum Exerzieren ausgerückte Bürgergarde lustig gemacht hatte (vgl. Reinhard Lebe, Ein deutsches Hoftheater in Romantik und Biedermeier. Die Kasseler Bühne zur Zeit Feiges und Spohrs (= Kasseler Quellen und Studien 2), Kassel 1964, S. 108; dazu auch „Theatralisches”, in: Figaro. Zugabe zur Flora 1 (1830), S. 52).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (03.03.2016).

Cassel, 15. November 1830.

Bei den ungeheuren Begebenheiten der letzten Zeit habe ich oft an Sie gedacht und gewünscht, mich mit Ihnen darüber unterhalten zu können. Gelesen habe ich in den Zeitungen, daß auch Sie den Heldenrock angezogen und sich an die Spitze der Offenabcher Bürgergarde gestellt haben! Mein Patriotismus hat sich mit künstlerischen Leistungen begnügen müssen. Erst haben wir die Berufung der Stände im Theater mit einem Festspiel gefeiert; dann habe ich mit der Kapelle dem Bürgermeister Schaumburg [sic!], dessen Beredsamkeit man dieses fröhlich Ereignis zu danken hat, eine solenne Nachtmusik gebracht, und zulezt, bei Eröffnung des Landtages, eine große Kirchenmusik mit beiden Gesangvereinen und allem, was in Cassel geigen und blasen kann, aufgeführt.
Nun werden wir, hoffe ich, bald die Publikation der Verfassung zu feiern haben, und da wird es wohl wieder Festliches im Theater geben. Unterdessen veranstalte ich am Cäcilientage mit dem Gesangverein ein Konzert zum Besten der Armen und werde bei der Gelegenheit auch einmal wieder öffentlich spielen ...
Ich arbeite jetzt an einer großen Violinschule und hoffe mit dem ersten Entwurf bis Ende des Jahres fertig zu werden. –
Die neue Oper ,Der Alchimist’ ist noch einigemal gegeben worden und hat sich in der Gunst des Publikums erhalten. Graf Redern in Berlin hat sie verschrieben und versprochen, sie gleich nach Neujahr geben zu lassen. Hält er Wort, so reise ich hin, um sie selbst zu dirigieren. – Endlich habe ich die Oper von Ries verteilen können. Am Neujahrstage wird sie gegeben werden. Wenn Sie Ries sehen, so sagen Sie ihm dies nebst herzlichem Gruße ...
Für das Frühjahr bin ich zur Direktion dreier Musikfeste, in Hannover, Potsdam und Erfurt, eingeladen worden und werde gerne hingehen ...