Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. Mus.ep. Spohr, L. 13
Druck: Walter Ederer, „Louis Spohrs Besuche in Berlin. Ein Beitrag zur preußischen Musikgeschichte”, in: Louis Spohr. Festschrift und Ausstellungskatalog zum 200. Geburtstag, hrsg. v. Hartmut Becker und Rainer Krempien (= Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Ausstellungskatalog 22), Kassel 1984, S. 65-90, hier S. 79 (teilweise)

Cassel den 30sten
November 29.
 
Lieber Herr Curschmann,
 
Empfangen Sie meinen herzlichen Dank und die detaillirte Beschreibung der Aufführung des Faust. Gern wäre ich dazu nach Berlin gekommen und obgleich ich jezt mehr wie gewöhnlich beschäftigt bin und mich schwerer würde haben losreißen können, so hätte es doch nur eines Winks von Spontini oder dem Grafen v. Redern bedurft und ich hätte alles hier liegen lassen. So ganz ohne eingeladen zu seyn, wollte ich mich aber nicht zudrängen. – Daß manches vergriffen werden würde, war ich im Voraus überzeugt; ich freue mich nur daß es, wie ich aus Ihrem und 6 andern Briefen1 ersehe, nicht schlimmer2 und daß die Aufführung keine gänzlich verfehlte war. Unter denen, die mir etwas freundliches über die Oper schrieben, war auch der Graf v. Redern3, was mich um somehr gefreuet hat, da ich weder persönlich bekannt mit ihm bin, noch mit ihm in Briefwechsel gestanden habe. Lieber wäre es mir aber noch gewesen, wenn er mich zur Aufführung eingeladen hätte.
Daß unsere Oper durch die Flucht der Heinefetter einen empfindlichen Verlust erlitten hat4 und daß uns nächsten Herbst ein noch unersetzlicherer durch Wild’s Abgang bevorsteht, werden Sie bereits wissen.5 Eine werdende Primadonna haben wir seit kurzem in Dem. Traut6 von Mainz gewonnen. Sie hat eine reine, klingende Stimme und viel Naturanlagen sowohl zum Gesang wie zur Darstellung und wird daher hoffentlich binnen kurzem die Heinefetter ersetzen können. Ihr erstes Debut als Emmeline fiel sehr glänzend für sie aus.7 – Außer Wild gehen auch(, doch von uns gekündigt,) die Roland und Eichberger ab und für diese mußten, so wie für ihn und an Sieber’s Stelle bis nächsten Sommer noch andere geschafft werden. Daß ich deshalb viel Sorge, viele Arbeit und eine endlose Correspondenz habe, können Sie leicht denken. Für alle hoffe ich Ersatz und genügenden zu finden, nur nicht für Wild, weil es leider in ganz Deutschland keinen zweiten Wild giebt.
Vor einigen Tagen erhielt ich einen Brief von Hauptmann aus Rom.8 Er schreibt (zur großen Satisfaction meiner Frau, die bekanntlich für Cassel sehr eingenommen ist und zum großen Ärger Bauers) daß er sich bereits sehr nach Cassel und seinen Freunden zurücksehne und daher auch auf kürzestem Wege zurückkehren werde.
Am 22sten feierten wir auf gewohnte Weise das Cäcilienfest. Es wurde mein Vaterunser und der Feska’sche Psalm 13 aufgeführt. – Im 1sten Abonnementsconcert wurde das Lob der Musick von Schuster9 (zur großen Freude von Apell und Consorten) gegeben10. Außer diesen alten Herren scheint es aber niemandem gefallen zu haben.
Ich arbeite jezt an einer neuen Oper in 3 Akten11 und bin beinah mit der Hälfte fertig. Meinen hiesigen Bekannten ist diese Arbeit aber noch ein Geheimnis und ich darf daher den Namen der Oper und des Dichters noch nicht bekannt werden lassen.
Von den Meinigen die herzlichsten Grüße. Mit inniger Freundschaft stets ganz der Ihrige Louis Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf Curschmann an Spohr, 15.11.1829. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Curschmann an Spohr, 15.07.1835, aus dem sich erschließen lässt, dass Curschmann Empfänger des von Spohr verfassten Subskriptionsaufruf zum Oratorium Des Heilands letzte Stunden war, dessen an Curschmann gerichtetes Exemplar derzeit verschollen ist.
 
[1] Neben dem in Anm. 3 erwähnten Brief von Friedrich Wilhelm von Redern auch ein derzeit verschollener Brief von Johann Philipp Samuel Schmidt.
 
[2] Hier gestrichen: „war”.
 
[3] Friedrich Wilhelm von Redern an Spohr, 18.11.1829.
 
[4] Vgl. „Chronik der auf dem kurfürstlichen Hoftheater zu Cassel aufgeführten Opern seit dem 25sten July 1829”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 31 (1829), Sp. 642-645, hier Sp. 643.
 
[5] Vgl. Franz Wild, „Autobiographie”, in: Recensionen und Mittheilungen über Theater und Musik 6 (1860), S. 19f., 53-56, 68-71, 83-86, 100-106 und 123f., hier S. 86 und 100.
 
[6] Agnes Traut, später verh. Pirscher.
 
[7] Rolle in Die Schweizerfamilie von Joseph Weigl.
 
[8] Dieser Brief ist derzeit verschollen.
 
[9] „von Schuster” über der Zeile eingefügt.
 
[10] „gegeben” über gestrichenem „aufgeführt” eingefügt.
 
[11] Der Alchymist.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (14.10.2016).