Autograf: bis mindestens 1943 im Besitz von Werner Wittich, danach Kriegsverlust (vgl. Druck, S. 14)
Druck: Louis Spohr, Briefwechsel mit seiner Frau Dorette, hrsg. v. Folker Göthel, Kassel und Basel 1957, S. 78f.

Köln, den 15. Oktober 29
 
Herzlich geliebtes Weibchen,
 
Meinen Brief von Aachen wirst Du erhalten haben oder er kommt mit diesem zugleich an. Ich fahre daher fort da, wo jener schließt. Vorgestern abend sah und hörte ich also Pixis‘s Oper. Die Musik hat vieles Schöne, konnte aber, so exekutiert, keinen Effekt machen.1 Pixis und Madame Fischer, zuletzt auch der Dekorationsmaler wurden herausgerufen. Mad. Fischer hat eine sehr schöne Stimme von großer Kraft und zugleich zarter Ansprache in Höhe und Tiefe, singt aber im Eifer fast immer zu hoch und scheint auch noch sehr unmusikalisch. Ich bin nicht ohne Besorgnis für ihr Debut in Kassel. Dies sub rosa.2 – Nach dem Theater wurde ich von Houten und Friedländer zu einem brillanten Souper im ersten Hotel von Aachen eingeladen, wo wir bis nach Mitternacht sehr vergnügt waren. Die Nachwehen kamen zu Haus, wo ich bis 1 Uhr einzupacken hatte. Um 5 Uhr wurde ich schon geweckt und von den beiden Gerkes auf die Post begleitet. Bei meiner Ankunft hier in Köln fiel mein Blick auf den Theaterzettel und ich las angenehm überrascht: Faust. Ich ließ mir sogleich ein Theaterbillet holen und besuchte dann noch Simrock, der mich ins Theater begleitete. Bei meinem Eintritt in die Loge wurde ich von jemand im Parkett erkannt und es ging bald von Mund zu Mund, daß der Komponist anwesend sei. Bis zum Anfang der Ouverture waren zu meiner Pein alle Blicke im Haus auf mich gerichtet und ich war froh, wie man endlich anfing. Die Aufführung war toll genug! Manches ging gar nicht übel. Faust spielte vortrefflich und sang gar nicht übel; auch Kunigunde war recht gut, die Sicoras sogar besser wie in Kassel. Wie der Vorhang gefallen war, schrie alles: Tusch für den Komponisten! Die Kerle schmetterten los und ich mußte unter Klatschen und Schreien mich so lange verbeugen, bis der Lärm endlich aufhörte.3 – Hier muß ich unwillkürlich an Weber‘s Briefe denken, und damit dieser nicht etwa auch nach meinem Tode gedruckt werde, so bitte ich Dich, ihn den Gang nach dem Eisenhammer aufführen zu lassen. – Ich wollte heute, da ich das Fahren satt habe, mit dem Dampfschiffe weiter! Leider geht es aber nicht und ich muß von neuem in den Kasten kriechen. Glücklicherweise habe ich einen Eckplatz im Cabriolet und werde daher doch die schönen Gegenden sehen können. Heute geht es bis Koblenz, morgen nach Mainz, übermorgen nach Frankfurt. Dort hoffe ich einen Brief von Dir poste restante zu finden.
Lebe recht wohl. Die herzlichsten Grüße an alle die Unsrigen.
 
Ewig Dein Louis.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Spohr, Dorette
Erwähnte Personen: Fischer, Beatrix
Friedländer (Aachen)
Gerke, Otto
Houtem, Ignaz van
Pixis, Johann Peter
Simrock, Peter Joseph
Erwähnte Kompositionen: Pixis, Johann Peter : Bibiana
Spohr, Louis : Faust
Erwähnte Orte: Aachen
Frankfurt am Main
Koblenz
Köln
Mainz
Erwähnte Institutionen: Theater <Aachen>
Theater <Köln>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1829101500

Spohr



Dieser Brief folgt auf Louis Spohr an Dorette Spohr, 13.10.1829. Der Postweg dieses Briefs überschnitt sich mit Dorette Spohr an Louis Spohr, 14.10.1829. Der nächste überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Louis Spohr an Dorette Spohr, 21.07.1833.
 
[1] Zur Bibiana in Aachen vgl. „Notizen”, in: Allgemeiner musikalischer Anzeiger 1 (1829), S. 188. Alfons Fritz sieht den Erfolg dieser Oper darin, dass der Librettist aus Aachen stammte und Pixis die Oper ebenfalls in Aachen komponiert habe; Die Räuberbraut bezeichnet er hingegen als die wertvollere Oper („Theater und Musik in Aachen seit dem Beginn der preussischen Herrschaft”, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 26 (1904), S. 165-277, hier S. 231).
 
[2] sub rosa = „eig. unter der Rose (als Bild der Vertraulichkeit, d.h. im Vertrauen, insgeheim)“ (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörterbuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 442).

[3] [Ergänzung 01.03.2022:] Vgl. „Köln, 15. Oktober“, in: Kölnische Zeitung 16.10.1829, nicht paginiert.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (21.03.2017).