Autograf: bis mindestens 1943 im Besitz von Werner Wittich, danach Kriegsverlust (vgl. Druck, S. 14)
Druck: Louis Spohr, Briefwechsel mit seiner Frau Dorette, hrsg. v. Folker Göthel, Kassel und Basel 1957, S. 75ff.

Kassel, d. 14. Okt. 1829.

Geliebter Louis!

Habe tausend Dank für Deine liebevollen Zeilen, die mir ein rechter Beweis Deiner Gutmütigkeit und Deiner Teilnahme für mich sind; so bald hätte ich wahrhaftig nicht auf Trost in meiner Einsamkeit gerechnet. Dein Brief verbreitete einen so freudigen Schrecken, daß sogar der Mann im Mond1 zur Erde fiel, der mir soeben behilflich sein sollte, meine Gedanken mit Gewalt von meinem Strohwitwenstande abzuziehen. Als Therese meine beinahe kindische Freude darüber sah, sagte sie: Dies hast Du nicht etwa dem Vater, sondern dem Waxelmilian (anstatt Maximilian) zu danken, der das Postwesen eingeführt hat!
Etwas Neues hat sich seit Deiner Abwesenheit in unseren vier Pfählen nicht zugetragen; jedoch kam Krauskopf gestern mit eine}r ziemlich wichtigen Miene und erzählte, daß nach Deiner Abreise noch ein Ohr2 vom Kurfürsten an Dich gekommen sei; ich dachte – besser wie eine Nase – und ließ ihn gehen. Es soll auf der Adresse noch gestanden haben „eilig“, weshalb auch Feige, wie ich höre, es sogleich mit dem Bemerken, daß du bereits abgereist seist – nach Wilhelmshöhe zurückgeschickt hat.3 Jetzt fängt es mich aber doch an zu beunruhigen; wenn vielleicht der Inhalt, den man Dir gewiß nachschickt, von der Art ist, daß er Deine Rückkehr noch weit hinausschiebt, wovon mich doch der liebe Gott bewahren wolle! Wenn Du kannst, so beruhige mich ja bald darüber.
Drei Briefe sind bis jetzt eingelaufen. Erstlich von Moltke in Weimar, den ich sogleich an Feige geschickt habe. Seine Tochter wird kommen, wünschst engagiert zu werden, möchte aber gern auch außer den verabredeten noch eine Rolle singen usw.4
Zweitens ein Brief von Schlesinger5, wovon ich Dir die paar interessanten Stellen hier wörtlich abschreibe: „Was Ihr Vater-Unser betrifft, so nehme ich natürlich Ihr Anerbieten an, ich muß Sie aber dringend ersuchen, die Herausgabe bis zum Frühjahr zu verschieben, da ich sonst den Eintrag der Passionsmusik oder durch diese jenem Eintrag tue. Sollten Sie aber einen besonderen Grund haben, so werde ich mich etc. Ihr Faust ist sowohl vom Chor als von den Solisten einstudiert, durch eine Abwesenheit des Baron Lichtenstein ist aber die Ausführung der Dekorationen liegen geblieben, die jetzt bis Ende des künftigen Monats fertig werden, so daß die Oper vor dem 6. oder 7. November nicht gegeben wird; mit dem ersten Tag des künftigen Monats beginnen die großen Proben.
Der dritte Brief ist von Stettiner6, abermahls sehr witzigen Inhalts, jedoch, wie Du Dir leicht denken kannst, viel zu weitläufig, um Dir denselben mitzuteilen.
Carl7 bat mich, wenn ich an Dich schrieb, Dich zu ersuchen, ob Du nicht vermitteln könntest, daß er bei Gelegenheit einmal sein Ränzgen von Speyer zurück erhielt; freilich soll es auch nicht viel kosten, sonst will er es lieber noch länger entbehren.
Daß ich Deiner immerwährend gedenke, brauche ich Dir wohl nicht erst zu versichern; Du weißt ja, daß ich ohne Dich so gar nichts bin! Jeder Tag, den Du fern bist, dehnt sich mir zu einer kleinen Ewigkeit aus. Der Himmel beschütze und behüte Dich nun, damit Dir nichts geschieht und Du froh und vergnügt zu uns zurückkehrst; dies ist mein tägliches Gebet!
Nun leb wohl, geliebter, guter Louis. Alle grüßen Dich herzlich, aber doch niemand so wie

Deine Dorette.



Dieser Brief ist die Antwort auf Louis Spohr an Dorette Spohr, 10.10.1829. Der Postweg dieses Briefs überschnitt sich mit Louis Spohr an Dorette Spohr, 13.10.1829 und 15.10.1829.

[1] Vermutlich H. Clauren [= Wilhelm Hauff], Der Mann im Mond oder der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme, Bd. 1, Stuttgart 1825, Bd. 2, Stuttgart 1826.

[3] Verballhornung von „Ordre“?

[4] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[4] Dieser Brief ist derzeit verschollen. Der Auftritt der Sängerin Moltke als Agathe in Carl Maria von Webers Freischütz am 02.11.1829 verunglückte (vgl. „Fortgesetzte Opern-Chronik des Hoftheaters zu Cassel“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 31 (1829), Sp. 858-862, hier Sp. 859).

[5] Dieser Brief ist derzeit verschollen. Göthel nimmt in seinem Kommentar zu Dorette Spohrs Brief Adolph Martin Schlesinger als Verfasser an (S. 99, Anm. 11). Da Spohr seine Verhandlungen über den Klavierauszug zu Pietro von Abano 1827 mit dessen Sohn Carl führte, halte ich Carl Schlesinger als Verfasser für wahrscheinlicher.

[6] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[7] Vermutlich Karl Scheidler.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (21.03.2017).