Autograf: bis mindestens 1943 im Besitz von Werner Wittich, danach Kriegsverlust (vgl. Druck, S. 14)
Druck: Louis Spohr, Briefwechsel mit seiner Frau Dorette, hrsg. v. Folker Göthel, Kassel und Basel 1957, S. 74f.

Aachen, den 13. Oktober 29

Herzlich geliebtes Weibchen,

Vorgestern nachmittags 3 Uhr kam ich endlich halb tot vor Müdigkeit an. Das Steinpflaster von Köln bis hieher ist schauderhaft und der liebe Junge wird daran denken. Unterwegs erfuhr ich schon, daß Pixis hier sei und in einigen Tagen eine neue Oper von sich geben werde. Dieses kömmt mir außer dem Interesse, welches ich an dem Werk selbst nehme, zum vollkommenen Vorwand meines Hieherkommens von Köln aus. Allein man scheint den wahren Grund meiner Mission doch zu erraten. Dies ist nun gleichgültig; mein Geschäft ist zu Ende und morgen früh um 6 Uhr werde ich nach Köln zurückkehren. Madame Fischer wird zuerst zum Gastspiel nach Kassel kommen1 und, wie ich die Verhältnisse hier habe kennenlernen, wohl bei uns Engagement annehmen können. Doch sie will durchaus nicht sogleich kontraktlich abschließen und mir ist es nicht unlieb, daß man sie vorher in Kassel hören wird, da sie nicht völlig meiner Erwartung entspricht. Sie hat zwar eine schöne, klingende Stimme von großem Umfang, aber noch wenig Schule und Gewandheit.
Heute abend ist nun die Oper von Pixis, ich hörte gestern größtentheils die Generalprobe und fand die Musik teilweise sehr schön. Den Musikern und Dilettanten hier scheint sie besser wie die Räuberbraut von Ries zu gefallen.2 Es ist übrigens auch wieder eine Räubergeschichte und das Buch nicht besonders. Pixis ist sehr liebenswürdig und mit ihm, Gerke (der sich hier ein gewaltiges air gibt)3 und Friedländer habe ich den größten Teil des gestrigen Tags angenehm verlebt. Ahé ist tot, Blaise mit 13 Kindern ist gesund, ihn und van Houten werde ich heute besuchen.
In 3-4 Tagen werde ich in Frankfurt sein und hoffe dort von Dir einen Brief posterestante zu finden. Wie freu ich mich auf das Wiedersehen! Schreibe mir doch wie der neue Bassist4 ist und wie er gefallen hat. - Herzliche Grüße an alle.

Ewig Dein Louis.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Spohr, Dorette
Erwähnte Personen: Ahé (Aachen)
Blees, Jakob Richard
Fischer, Beatrix
Friedländer (Aachen)
Gerke, Otto
Houtem, Ignaz van
Pixis, Johann Peter
Erwähnte Kompositionen: Pixis, Johann Peter : Bibiana
Ries, Ferdinand : Die Räuberbraut
Erwähnte Orte: Aachen
Köln
Erwähnte Institutionen: Theater <Aachen>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1829101300

Spohr



Dieser Brief folgt auf Louis Spohr an Dorette Spohr, 10.10.1829. Der Postweg dieses Briefs und von Spohrs nächstem Brief vom 15.10.1829 überschnitt sich mit Dorette Spohr an Louis Spohr, 14.10.1829.

[1] Bereits am 30.09.1829 berichtete die Allgemeine musikalische Zeitung, „dass Madame Fischer auf den sie ergangenen Antrag ablehnend geantwortet habe („Chronik auf dem kurfürstlichen Hoftheater zu Cassel aufgeführten Opern seit dem 25sten July 1829”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 31 (1829), Sp. 642-645, hier Sp. 645).

[2] Zur Bibiana in Aachen vgl. „Notizen”, in: Allgemeiner musikalischer Anzeiger 1 (1829), S. 188. Alfons Fritz sieht den Erfolg dieser Oper darin, dass der Aachener Louis Lax das Libretto geschrieben und Pixis die Oper ebenfalls in Aachen komponiert habe; Die Räuberbraut bezeichnet er hingegen als die wertvollere Oper („Theater und Musik in Aachen seit dem Beginn der preussischen Herrschaft”, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 26 (1904), S. 165-277, hier S. 231).

[3] Zu Otto Gerke in Aachen vgl. Fritz, „Theater und Musik in Aachen”, S. 201f., 217, 223, 225, 233, 237 und 239.

[4] Noch nicht ermittelt. Lebe führt in seinem alphabetischen Darstellerpersonal des Kasseler Hoftheaters als einzigen Bass mit Engagementbeginn 1829 August Zschiesche auf (Reinhard Lebe, Ein deutsches Hoftheater in Romantik und Biedermeier. Die Kasseler Bühne zur Zeit Feiges und Spohrs (= Kasseler Quellen und Studien 2), Kassel 1964, S. 281-286, hier s. 286). In seinem Brief an Wilhelm Speyer, 06.09.1829 beklagt Spohr sich jedoch, dass Zschiesche wieder abgeschrieben habe. Vermutlich hätte Spohr Zschiesche in diesem Brief auch namentlich erwähnt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.01.2016).