Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,130

Sr. Wohlgeb
Herrn Wilhelm Speyer
in
Offenbach a/m


Cassel den 6ten
September 29.

Geliebter Freund,

Schon längst hätte ich Ihnen einmal nach unserer Zurückkunft geschrieben; ich bin aber jezt ein geplagter Mensch und nehme ohne dringende Noth die Feder nicht zur Hand! Bey unserm zerrissenen Opernpersonal (Zische hat auch wieder abgeschrieben, weil er ein Engagement auf Lebenszeit bey der Königl. Bühne erhalten hat,)1 muß ich Proben über Proben machen, um etwas geben zu können und in der Messe wußte ich zuweilen nicht aus nicht ein. Dazu kommt eine Correspondenz mit fast allen Primadonnen Deutschlands und allen ersten Bassisten, ja sogar schon mit ersten Tenoristen, da wir in einem Jahre leider auch Wild verlieren! Und endlich habe ich jezt leider so viel Schüler wie noch nie2 , so daß ich sogar den Sontag zum Stunden geben zu Hülfe nehmen muß. Indessen habe ich doch ein neues Soloquartett soeben beendet und auch bereits recht tüchtig einstudirt. - Eine Einladung zu dem bevorstehenden großen Musickfest in Halle habe ich wegen meiner vielen Geschäfte auch nicht annehmen können, obgleich sie 3mal und immer dringender erfolgte. Spontini erbot sich die Direktion mit mir zu theilen und es sollte mein Vater Unser, Sinfonie und alles was ich wollte, aufgeführt werden. Ich wäre indessen auch nicht hingegangen, selbst wenn ich weniger zu thun hätte, denn ich mag mit Spontini keine Musickaufführung theilen. - Der Zweikampf hat nun auch noch nicht gegeben werden können und muß ruhen, bis wir wieder eine Sängerin an der Heinefetter Stelle haben. So viel sich bis jezt aber auch gemeldet haben, so ist doch noch nichts recht gescheutes darunter!
Guhr hat sich ja in einen gewaltigen Enthusiasmus über Paganini versetzt.3 Welchen Eindruck hat denn sein Spiel auf Sie gemacht? – Er besuchte mich bey seiner Durchreise durch Cassel und kündigte seine Zurückkunft hierher in 4 Wochen an. So werde ich ihn dann endlich auch [zu] hören bekommen.
Ich habe an Ries 15 Friedrichsd’or in Golde zu bezahlen und bin so frei [Sie] zu bitten, ihm diese Zahlung für [mich] zu machen. Die Quittung senden [Sie mir] gefälligst, weil ich sie der Theaterka[sse] übergeben muß und schreiben Sie mir doch, wie viel Sie zu dem Gelde, welches ich gut habe, haben zulegen müssen. Ich erwarte von London ein Honorar in einem Wechsel auf Frankfurt, den ich Ihnen zum Einkassiren zusenden werde. Schlesinger hat mir das Honorar im baren mit der Post geschickt.
Die herzlichsten Grüße von uns allen an die lieben Ihrigen. Wir sehen mit Sehnsucht der Nachricht von dem Wohlbefinden aller entgegen.
Mit wahrer Freundschaft stets

Ihr Louis Spohr.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 03.06.1829. Speyer beantwortete diesen Brief am 17.09.1829.

[1] In seinem Brief an Spohr vom 18.08.1829 erwähnt Zschiesche ein Engagement in Berlin nur als möglich; demnach ist der hier erwähnte Brief derzeit wohl verschollen.

[2] Vgl. dagegen die Einträge für 1828 in: C.B., „Verzeichnis der Schüler von Louis Spohr”, in: Niederrheinische Musik-Zeitung 7 (1859), S. 150ff.

[3] Vgl. Carl Guhr, Ueber Paganini’s Kunst die Violine zu spielen. Ein Anhang zu jeder bis jetzt erschienenen Violinschule nebst einer Abhandlung über das Flageoletspiel in einfachen und Doppeltönen, Mainz [1829]; das von Spohr wohl gemeinte Vorwort auch in Caecilia 11 (1829), S. 87-94. 

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (02.03.2016).