Autograf: Musée royal de Mariemont Morlanwetz-Mariemont (B-MA), Sign. Aut. 1133/4
Druck 1: Gérard Pinsart, Ces musiciens qui ont fait la musique. Autographes et documents musicaux de XVIe au XXe siècle, Morlanwelz 1985, S. 119 (frz. Übers.)
Druck 2: 400 lettres de musiciens au Musée royal de Mariemont, Brüssel 1995, S. 182f. (dort auch S. 181f. frz. Übers.)
Inhaltsangabe: Musiker-Autographen darunter viele eigenhändige Musikmanuscripte (= Katalog Liepmannssohn 174), Berlin 1910, S. 106

Sr. Wohlgeb.
Herrn And. Henkel
Studiosus Juris
in
Fulda.

franco.


Cassel den 21sten Juli 1829.

Wohlgeborener Herr,

Ich habe Ihre Kompositionen mit Aufmerksamkeit und Theilnahme durchgesehen. Alle verrathen, mehr oder weniger, Beruf zur Komposition, ohne deshalb schon mit den bessern vorhandenen Werken ihrer Gattung in die Schranken treten zu können, was übrigens bey der Sinfonie und Sonate, von denen so unübertreffliche Meisterwerke existiren, auch schwer genug ist. Er läßt sich daher wohl mit einiger Gewißheit vorhersagen, daß Sie, wenn Sie sich ausschließlich der Komposition widmen, ausgezeichnetes leisten werden. Unerläßlich wäre aber dazu, daß Sie an einem Ort lebten, wo Sie vorzügliche Musik vorzüglich aufgeführt hören und mit der Zeit fortschreiten könnte; denn verhehlen will ich Ihnen nicht, daß Ihre Kompositionen in der Form und in den Gedanken veraltet klingen und daß die Aufgabe, die Sie sich in der Bearbeitung und Durchführung Ihrer Ideen gestellt haben, die Ansoprüche neuer Zeit nicht mehr befriediget und daß man jezt bedeutenders in dieser Hinsicht zu fordern, gewohnt ist. Indessen, das erste Erforderniß zum Komponisten, eigene Erfindung besitzen Sie unstreitig und alle übrige ist zu erlernen!
Sollten Sie nun aber Ihren bisherigen Beruf verlassen, so muß ich Ihnen noch zu bedenken geben, daß der Komponist, bevor er es so weit bringt, mit seinen Arbeiten sein Brodt verdienen zu können, einen beschwerlichen Weg vor sich hat. Die Erstlinge die er der Öffentlichkeit übergiebt, wird er dem Verleger untentgeltlich überlassen müssen und er kann von Glück sagen, wenn sie nur angenommen werden. Erregen diese allgemein Aufmerksamkeit, so darf er wohl hoffen für die folgenden Werke Honorar, wiewohl sehr kärgliches zu empfangen, es sey denn, daß es ihm gelänge, sich zum Modekomponisten aufzuschwingen, wozu aber nicht bloß ausgezeichnetes Talent, sondern auch Glück gehört. Doch bleibt das, was der Komponist gewinnt, immer weit hinter dem zurück, was der Virtuos mit viel leichterer Mühe verdienen kann: weshalb da, wo beyde Talente vereint sind, der Virtuos immer den Komponisten erhalten muß.
Was ich nun hier flüchtig niedergeschrieben habe, wird hinlänglich seyn um Sie, nach eigener Prüfung und Überlegung zu einem Entschluß für die Zukunft zu veranlassen. Daß dieser Sie zu dem heilsamsten führen möge, ist mein herzlicher Wunsch!
Unter Empfehlungen an Ihren Herrn Vater mit wahrer Hochachtung

Ihr
ergebener
Louis Spohr

NS Ihre Manuscripte behalte ich, bis Sie weiter darüber verfügen werden, noch zurück, da es mir an Gelegenheit fehlt, sie Ihnen kostenfrei zurück zu senden.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Henkel, Georg Andreas
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1829072114

Spohr



Der nächste überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Henkel, 08.08.1832.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (12.06.2020).