Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.6 <Nauenburg 18290601>
Druck: Autographen aus verschiedenem Besitz. Auktion am 6. Juni 1962 (= Katalog Stargardt 558), Marburg 1962, S. 89 (teilweise)

Sr. Wohlgeb.
Herrn Gustav Nauenburg
Privatgelehrter
in
Halle.
 
franco.
 
 
Cassel den 1sten
Juni 29.
 
Hochgeehrtester Herr,
 
Entschuldigen Sie gütigst, daß ich Ihr freundliches Schreiben erst jezt beantworte. Die Zeit war mir in diesem Frühjahr so kurz zugemessen, daß ich nur die dringendste Correspondenz beseitigen konnte. Ein Werk welches ich so eben beendigt habe, nahm jeden Augenblick, den ich meinen Theatergeschäften abstehlen konnte, in alleinigen Anspruch. Es ist dies ein Vater unser nach dem Mahlmann’schen Text für Solostimmen und Chor. Ich habe es hauptsächlich geschrieben, damit ein passendes Werk eigener Komposition existirt, was zu dem Oratorio Die letzten Dinge gegeben werden kann, weil1 dieses einen Concertabend nicht ganz ausfüllt. Zu meinem Verdruß wurde bey den zahlreichen Aufführungen außerhalb Cassel fast immer ein unpassendes dazu gegeben; dieses neue Werk schließt sich nun als 3ter Theil dem anderen vollkommen gut an. - Nun werde ich auch im Laufe des Sommers Muße gewinnen, die Lieder für Baß zu schreiben.2 Einige habe ich mir schon ausgewählt. -
Die erste Arie des Faust (as dur)3 ist in Frankfurt a/m für Herrn Schelble (einen tiefen Tenor) nachgeschrieben worden und geht3k freilich nicht gut zu dem übrigen der Parthie. In F transponirt macht sie sich für eine Baritonstimme am besten. So habe ich sie auch an andere Theater verschickt. Die Tonart g würde gar nicht zum Charakter der Arie passen. - Nach dem Duett in Jessonda singt unsere Amazili eine kl. Arie in a dur, die ich nachkomponirt habe, deren Text sich aber im Buche befand, von mir aber anfangs übersprungen wurde, weil der Arien im 2ten Akt ohnedies zu viele sind. Da wo die Amazili gut ist, wie z. B. hier, in Braunschweig, Stuttgard usw. hat die Arie auch nach dem D[uett] noch Efekt gemacht und wird [fort]während gesungen. Sollte Ihre [Ama]zili sie zu erhalten wünschen, so steht eine Abschrift der Partitur sehr gern zu Diensten. In der Leipziger Partitur befindet sie sich übrigens auch.
Wird mir vieleicht das Vergnügen zu Theil werden, Sie bey dem Musikfest in Nordhausen persönlich kennen zu lernen?
Mit vorzüglicher Hochachtung
 
Ew. Wohlgeb.
ergeb. Dr.4
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Nauenburg, Gustav
Erwähnte Personen: Schelble, Johann Nepomuk
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Faust
Spohr, Louis : Jessonda
Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Spohr, Louis : Lieder, Alt/Bar Kl, op. 94
Spohr, Louis : Vater Unser, WoO 67
Erwähnte Orte: Nordhausen
Erwähnte Institutionen: Elbe-Musikfeste <wechselnde Orte>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1829060117

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Nauenburg an Spohr. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Nauenburg, 07.04.1833(?).

[1] Hier direkt im Anschluss an das Wort gestrichen: „ches“.
 
[2] [Ergänzung 18.12.2017: Spohr komponierte seine Lieder für tiefe Stimme op. 94 erst 1835/36, teilte dies Nauenburg dann aber sofort mit (vgl. Spohr an Nauenburg, 29.10.1835).]
 
[3] „(as dur)“ über der Zeile eingefügt.

[3k] [Korrektur 14.11.2022: „geht“ aus zuvor fälschlich transkribiertem „paßt“ korrigiert.]
 
[4] Abkürzung für „Diener“.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.05.2017).