Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,123

Sr. Wohlgeb
Herrn Wilhelm Speyer
in
Offenbach a/m


Cassel den 1sten December
28.

Geliebter Freund,

Entschuldigen Sie, daß ich Ihren lieben Brief erst jetzt beantworte. Anfangs war ich zweifelhaft, ob meine Antwort Sie treffen würde, denn Sie erwähnten mit keiner Sylbe, ob Sie die Reise nach Wien aufgegeben hätten oder nicht. Dann kam Hermstedt hieher und ließ mich 8 Tage nicht zum Schreiben kommen; dann begannen unsere Abonnementsconcerte, in deren ersten ich mit Wiele meine Concertante spielte. Zu allem diesen hatte ich viel im Theater zu thun, wo bey den Opern, seit Seidelmann’s Abgang vom Schauspiel, eine viel größere Thätigkeit herrscht wie früher und endlich hatte ich einmal wieder Lust und Ideen zum Komponiren und benutzte jeden Augenblick dazu. – Doch nun zur Beantwortung Ihres lieben Briefs.
Seit 3-4 Wochen ist nun alles wieder hergestellt in unserm Hause. Meine Frau war seit unserer Zurückkunft von der Ferienreise in einiger Besorgniß und Unruhe, da unsere beyden Töchter ihrer Niederkunft entgegen sahen; dieß wirkte wie immer Gemüthsbewegung bey ihr, auf ihre Periode ein und sie wurde sehr krank. Dieß ist nun alles, Gottsey gedankt, wieder in Ordnung und ich von großer Besorgniß ihretwegen befreit. Ich selbst hatte an den Folge einer heftigen Erkältung lange Zeit zu leiden, bin nun aber auch ganz wieder hergestellt. An allen diesen Krankheiten ist unsre Wohnung aber ganz unschuldig und wir haben bey der hohen Lage unsers Hauses auch nicht im mindesten über Feinfühligkeit zu klagen. Ein Beweis ist, daß der Sand im Keller sehr trocken ist, daß man ihn sogleich als Streusand gebrauchen könnte. – Wohl aber ist es im Herbst im Garten feucht und wir haben uns vielleicht bey den schönen Abenden zu lange im Freien aufgehalten. Das müssen wir in’s künftige vermeiden. Aber nie werde ich unsere Wohnung [ver]lassen, ich wüßte in ganz Cassel keine [an]genehmere! – Ist die Oper von Ries [doch] noch nicht gegeben worden? Und ma[cht] Guhr auch noch keine Anstalt die meinige vorzunehmen? – Das einzige was er mir darüber geschrieben hat, ist das Billet welches Sie mir zugeschickt haben1; ich lege es Ihnen bey und überlasse es Ihnen ganz, ob Sie und was Sie in dieser Angelegenheit thun wollen. – Das 2te der neuen Quartetten ist auch beynahe fertig; ehe ich nun aber das 3te schreiben kann, muß ich Hermstedts neues Clarinettenconcert instrumentiren. – Der Halberstädter Musikverein hat mir eine schöne Tischuhr geschenkt. Die Bronzeverzierungen haben alle schmeichelhafte Beziehungen auf mich und meine Arbeiten. – Am Neujahrtage werden wir Maurer’s Oper „Aloisa” zum 1sten mal geben. Sie hat ein interessantes Sujet und artige Musik, die mit seiner Instrumentalmusik etwa in gleichem Range steht. – Von den Meinigen die herzlichsten Grüße. Stets Ihr Freund L. Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Speyer an Spohr. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 07.01.1829.

[1] Vermutlich Carl Guhr an Spohr, 10.10.1828.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.03.2016).