Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,122

Sr. Wohlgeb
Herrn Wilhelm Speyer
in
Offenbach a/m
 
 
Cassel den 11ten
October 28.
 
Geliebter Freund,
 
Emilie ist vor 8 Tagen glücklich niedergekommen und hat ebenfalls ein Mädchen1 gebracht, so daß wir nun 3 Enkelinnen haben. Mutter und Kind sind sehr wohl. Meine Frau aber war sehr unwohl und fängt seit einigen Tagen erst wieder an, sich zu erholen. Sie ist 2 mal zu Wagen bey Emilie gewesen und hat unterdessen das Zimmer noch nicht verlassen dürfen.
Ries hat mir einen langen Brief geschrieben und seine Noth geklagt.2 Wie ich aus Ihrem Brief und einem von Schnyder3 ersehe, soll die Oper aber nun doch in 8 Tagen gegeben werden. Ich wünsche ihr den besten Erfolg!
Schnyders Brief enthält die Neuigkeit, daß Guhr der Direktion gekündigt habe, tags darauf aber demüthig seine Übereilung abgebeten habe; daß aber die Direktion ihm noch nicht geantwortet habe und es leicht seyn könne, daß er gehe und Ries an seine Stelle trete. Ist an der Geschichte etwas mehres?
Meine ehemaligen Bekannten in Wien sind zum Theil todt, zum Theil ausgewandert, so daß ich trotz meines Hin- und Her-sinnens niemand weiß, dessen Bekanntschaft Ihnen von Interesse seyn könnte. Sollten Sie die Künstler Wien’s kennen lernen wollen, so könnte Ihnen St. Lubin als Führer dienen.
Lindpaintner’s Oper „Der Vampyr” hat gefallen, ohne großes Glück zu machen. Es sind wunderherrliche Sachen darin, leider aber auch viel ordinaires. – Der, Ihnen, durch das Glück, was seine Oper in München gemacht hat4, gewiß bekannte französische Komponist Chellard ist jetzt hier und hat uns gestern früh am Piano seinen Macbeth hören lassen. Diese Oper hat auch ganz geniale, hochdramatische Nummern neben and[ern] vielen, die ganz dem Rossini nachge[schrieben] sind. Er verachtet diese letzteren aber selbst hinlänglich und behauptet sie nur geschrieben zu haben, um in Paris nicht ganz durchzufallen.
Endlich bin ich auch wieder zu Arbeit gekommen und habe 2 Sätze eines Quartetts fertig.
Von den meinigen die herzlichsten Grüße. Mit inniger Freundschaft stets
 
der Ihrige L. Spohr.
 
Sollten Sie Riessens Oper noch in Frankfurt erleben, so erwarte ich natürlich eine Relation von Ihnen darüber.



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Speyer an Spohr. Speyers Antwortbrief ist derzeit ebenfalls verschollen.
 
[1] Nathalie Zahn, später verheiratete Wiegand.
 
[2] Vgl. Ferdinand Ries an Spohr, 26.09.1828.
 
[3] Dieser Brief ist derzeit verschollen.
 
[4] Vgl. „Ueber Macbeth, Oper in 3 Aufzügen”, in: Flora (1828), S. 506f. 
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.03.2016).