Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,121
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 99f. (teilweise)

Cassel den 25sten August
28.

Geliebter Freund,

Entschuldigen Sie gütigst, daß ich Ihnen seit unserer Rückkehr von der Reise noch nicht geschrieben habe. Anfangs nahmen die Proben zur Geburtstagsoper und die angehäufte Geschäftscorrespondenz meine ganze Zeit in Anspruch, dann wurde ich ernstlich krank, litt 20 Stunden ohne Unterlassung an den heftigsten Magenkrämpfen, wodurch meine Nerven so abgeschwächt wurden, daß es 14 Tage gedauert hat, bis ich wieder zu Kräften gekommen bin, und bis mein Kopf wieder so frei geworden ist, daß ich meine gewohnten Arbeiten aufnehmen konnte. Nun geht es zwar besser; aber mit der Genesung ist die Messe gekommen, wo wir 4 Opern in der Woche haben; so daß ich mich noch nicht wieder erholen kann. – Doch habe ich seit der Rückkehr 2 Sätze eines Clarinettconcerts für Hermstedt geschrieben, welches er beim nächsten Musikfest in Nordhausen blasen will. Bi[n] ich damit fertig, so denke ich neue Violinquartetten zu schreiben.
Vor der Reise und während der selben habe ich fleißig Violine gespielt und mich überzeugt, daß ich bey fleißigem Üben wohl noch ernstlich geigen kann. Dieß hat mir Lust gemacht in der nächsten Ferienzeit eine Reise nach Petersburg zu machen und dort einige Concerte zu geben. Man fährt jetzt von Lübeck mit dem neuen englischen Dampfboot in 4 Tagen nach Petersburg.1 – Ich stehe nicht dafür ein, daß mir bis zum nächsten Frühjahr die Lust wieder vergangen ist.
In 4-5 Wochen wird Lindpaintner’s Vampyr hier zum 1sten mal gegeben werden. Ich hoffe, mit glücklichem Erfolg. Buch und Musik haben sehr ergreifende Momente.
Aloys Schmitt quält mich sehr mit seiner Oper.2 Er bat mich, wie ich in Hannover war, um Erlaubnis, sie mir zur Ansicht schicken zu dürfen und hat nun vorlauter Weise ausgesprengt, sie werde hier gegeben werden. Das Buch ist aber so schlecht und die Musik teilweise so im Charakter verfehlt, daß sie garnicht zu geben ist. Dieß habe ich ihm geschrieben; nun bestürmt er mich mit Bitten, sie dennoch zu geben und hat die abentheuerlichsten Projekte. – Er ist ein unglücklicher Mensch, der sich und seine Fähigkeiten völlig verkennt. So legt er auf sein tüchtiges Clavierspiel sehr wenig Werth und bildet sich ein, ein guter Direktor und dramatischer Kompositeur zu sein und zu beydem hat er, wenigstens bis jetzt, noch nicht das mindeste Geschick gezeigt. Er wohnt seit einiger Zeit in Geisenheim und hat dort, wie er mir schreibt3, 6!! Violinquartetten geschrieben, die er mit bey der Rückreise nach Hannover bringen will.
Madame Seidler ist hier und wird 4 Gastrollen geben. Heute singt sie die Rezia im Oberon. An Stimme hat sie seit 4 Jahren sehr verloren, was hier bey unsern frischen, jugendlichen Stimmen unso bemerkbarer wird. Die Methode ist aber gut und in dieser können unsere Sängerinnen noch von ihr lernen.
Ida hat uns mit einem 2ten Enkelchen4 beschenkt. Emilie sieht ihrer Niederkunft in 14 Tagen entgegen.
Bey Ihnen ist alles wohl, wie mir Küper gesagt hat. Die herzlichsten Grüße von den Meinigen.

Mit inniger Freundschaft stets der Ihrige
Louis Spohr.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 04.05.1828. Falls es in der Zwischenzeit einen Brief von Speyer an Spohr gab, lag er wohl schon etwas zurück, da sich Spohr am Ende dieses Brief auf Henry Küper  bezieht, der ihm mitgeteilt habe, dass bei Speyers alles wohl sei. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 11.10.1828, aus dem sich ein verschollener Brief von Speyer an Spohr erschließen lässt.

[1] Vgl. z.B. Staats und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten 18.06.1828, nicht paginiert

[2] Der Doppelprozess (Identifikation nach Speyer, S. 99, Anm. 3).

[3] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[4] Antonie Wolff, später verheiratete Schmitz.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.03.2016).

Cassel, 25. August 1828.

Aloys Schmitt quält mich sehr mit seiner Oper. Er bat mich, wie ich in Hannover war, um Erlaubnis, sie mir zur Ansicht schicken zu dürfen und hat nun vorlauter Weise ausgesprengt, sie werde hier gegeben werden. Das Buch ist aber so schlecht und die Musik teilweise so im Charakter verfehlt, daß sie garnicht zu geben ist. Dies habe ich ihm geschrieben; nun bestürmt er mich mit Bitten, sie dennoch zu geben und hat die abenteuerlichsten Projekte. Er ist ein unglücklicher Mensch, der sich und seine Fähigkeiten völlig verkennt. So legt er auf sein tüchtiges Klavierspiel sehr wenig Wert und bildet sich ein, ein guter Direktor und dramatischer Komponist zu sein und zu beiden hat er, wenigstens bis jetzt, noch nicht das mindeste Geschick gezeigt. Er hat, wie er mich schreibt, sechs!! Violinquartette komponiert, die er mit bei der Rückreise bringen will ...