Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Frankfurt am Main den 11ten März 1828.

Lieber Freund!

Schon recht lange wollte ich Ihnen recht herzlich danken, daß Sie die Güte hatten mir den Klavier-Auszug Ihres neuen Oratoriums zu übersenden. Ein neues Werk von Ihnen zu sehen oder zu hörenist mir immer ein Genuß, aber leider ist dieses hier in Frankfurt, wo Ihre neuesten Opern gar nicht gegeben werden (die Umstände kennen Sie ja) gar zu selten der Fall.
Mein neuestes Liederheft: christliche Lieder von Novalis, wollte ich Ihnen schon vorigen Herbst,1 durch H. Speier, als er Sie besuchte2, zuschicken, allein in dieser Zeit fiel die ewige Krankheit meiner Frau, die ihren Tod zur Folge hatte. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welche Wunden diese Trennung mit schlug: Sie kannten ja die Innigkeit unserer Verbindung, und brauchen um diese zu ersehen, nur in Ihr eigenes Herz zu blicken.
Diesen Winter habe ich wieder eine große Oper vollendet zu welcher Döring den Text gemacht hat. Das Sujet ist ein sehr glückliches Kind und eines der schönsten, die wir haben. Es ist das bekannte Volksmährchen: Fortunatus mit dem Säckel und Wünschhütlein. Ein ganz allerliebstes Mährchen und von Döring so gut und dramatisch durch bearbeitet, daß die Oper gewiß ein Liebling des Publikums werden wird, wenn sie einmal auf die Bühne kömmt. Sie ist, wie sie leicht errathen werden, romantisch komisch, doch vorherrschend romantisch und auch theilweise sentimental. Die Musik ist mir, ich darf es sagen, recht sehr gelungen. Sie ist sehr klar, freundlich, mannichfaltig und frisch; nicht sonderlich schwierig, sondern eher leicht. Wenn es nöthig wäre, so könnte ich Ihnen darüber die günstigsten Zeugniße von Schelble und Kind einsenden. Hauptpersonen sind: der König, Baß; Pedro, sein Vetter, zweiter Baß; Fortunatus, Tenor, einem Anstrich der Sentimentalität: Alida, Tochter des Königs, ganz sentimental; Agrippina, Base des Königs, stolze Bravour; Karlin, Tenor, ein Windbeutel; dann viele Chöre.3
Ich wünsche mir recht angelegentlichst dieses Werk auf deutsche Bühnen zu bringen und der erste Schritt, den ich dafür thue, ist dieser Brief an Sie, als meinen bewährten Vormund. Auch Döring, mit dem ich die Oper gemeinschaftlich ausrufe, bittet Sie sehr, für unseren Zweck doch freundschaftlichst zu wirken. Unser Hauptwunsch wäre der, wenn Sie veranlaßten, daß sie Ihr Theater sich anschaffte, und die selbe unter Ihrer Leitung, die der beste Bürge für die treffliche Ausführung ist, auf die Bühne bringen wollten. Sie können (auf meine Gefahr) mit allen Ehren sie4 denen empfehlen, die ber das Anschaffen von neuen Opern zu entscheiden haben, denn ich bürge Ihnen dafür, daß Sie eine recht praktische Oper erhalten werden mit einer Musik. die gewiß Melodienreich, insinuant5 und bei schauerlichen Momenten (an denen es in der Oper auch nicht mangelt) tief eingreifend und kräftig ist.
Döring meinte für den Verkauf unserer Oper, die drei große Akte hat, und einen ganzen Abend gut einfüllt, den Preis von 20 Carolin setzen zu dürfen. Ich meinte das sey zuviel, indem ich als Opern Komponist noch gar nicht bekannt bin, und für die erste Oper, die ich öffentlich antragen will, keine 15 Carolin fordern dürfe. Döring blieb aber auf seiner Meinung und ich auf der meinigen. Endlich sagte ich ihm, wir wollen es auf Ihren Ausspruch ankommen lassen, was er recht gern einging. Sie haben ja auch in diesen musikantischen Verhältnissen die größte Erfahrung, ich bitte Sie also um Ihren Rath, welchen Preis wir setzen wollen. Das Abschreiben des Buches und der Partitur kann ungefähr 5 Caroline kosten.
Guhr hat die Oper bei mir gesehen; und er that, als ob sie ihm außerordentlich gefiele, besonders die Finale. Ich solle sie schnell fertig machen, er wolle sie dann gleich hier aufführen, sagte er. Seit sie aber fertig ist, schweigt er still. Ich bin zu stolz um darüber einem Guhr noch ferner etwas zu sagen, aber bei einem Manne, wie Sie wiederhole ich gern meine Bitte, sich für mein Werk zu verwenden, und es würde mich unendlich freuen, wenn von Cassel her eine freundliche Bestellung darauf einliefe zu dem Preise, den ich selbst sie für deutsche Bühnen zu bestimmen ersuche. Die Rolle der Alida würde gut für die Heinefetter passen. Die der Agrippina für die Sägnerin, welche die Königin der Nacht macht; obwohl die große Bravour-Arie die jene zu singen hat nur bis h“ geht. Wild wäre, wie ich glaube, ein trefflicher Fortunat.
Mit der hiesigen Oper stehs es jetzt sehr schlecht. Die Mlle. Haus ist, wie man allgemein spricht, durch den Schauspieler Fehringer, der vor einiger Zeit durchging, auf ein paar Monate zum Singen unbrauchbar gemacht worden. Die Oper von Ries kann nicht gegeben werden6}.{
Gestern war eine der schönsten Musikleistungen, die je in Frankfurt waren. Der Cäcilien-Verein führte einen Theil der herrlichen fünfstimmigen Messe von Bach, die Nägeli bekanntlich in Partitur herausgeben wird, mit Orchester auf, nebst dem Mozartschen Davide penitente.
Unserm armen Freund Döring geht es diesen Winter sehr übel. Er lit schon lange an der Gelbsucht, die bis zu einem sehr heftigen Grad anwuchs, und man anfing sehr besorgt für ihn zu werden. Das griff dann seine Frau so sehr an, daß sie die furchtbarsten Krämpfe bekam, die schon seit sechs Wochen dauern, und noch nicht ganz vorbei sind.
Hr. Hauser läßt Sie herzlich grüßen.
Einen herzlichen Gruß von mir an Ihre liebe Frau.
Mit größter Hochachtung in alter Freundschaft und Liebe

Ihr
ergebenster Freund
Xav. Schnyder von Wartensee.
Bleichstraße No II Lit. D

Meine erste Oper7, die komische, liegt noch immer in Berlin. Ich bekomme darüber die schönsten Worte, aber keine That. Ist Spontini der Berliner Guhr oder Guhr der Frankfurter Spontini? Lösen Sie das Problem. Den Fortunat will ich dem Königstädter Theater antragen.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Schnyder, 23.07.1825. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Schnyder, 30.09.1841. Dazwischen liegt noch eine von Schnyder mitunterschriebene Einladung des Frankfurter Liederkranz’ an Spohr, 20.01.1838.

[1] Hier ein Buchstabe gestrichen.

[2] Vgl. Spohr an Wilhelm Speyer, 15.09.1827.

[3] Vgl. das Personenverzeichnis in: Georg Döring, Arien und Gesänge. Fortunat mit dem Säckel und Wunschütlein, Frankfurt am Main 1831, S. [2].

[4] „sie“ über der Zeile eingefügt.

[5]insinuant, einschmeichelnd, schmeichlich, zuthulich“ (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörtebuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 249).

[6] Auch die Frankfurter Aufführung von Spohrs Der Berggeist wurde durch Haus’ Schwangerschaft verhindert (vgl. Carl Guhr an Spohr, 10.10.1828).

[7] Estelle.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (12.07.2022).