Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. Mus.ep. Meyerbeer, G. 129
Druck 1: Louis Spohr, Louis Spohr's Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 176f. (teilweise) 
Druck 2: „Eine verschollene Oper von Louis Spohr“, in: Allgemeine Zeitung <München> (1889), S. 5167 (teilweise)
Druck 3: Giacomo Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 2, hrsg. v. Heinz Becker und Gudrun Becker, Berlin 1975, S. 68 (teilweise)
Beleg: Autographen-Sammlung enthaltend Musiker-Briefe und Musik-Manuskripte aus dem Nachlasse des berühmten Komponisten Louis Spohr (1784-1859) nebst Beiträgen allerArt (Fürsten,Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, Künstler, etc.) aus dem Besitz eines bekannten Berliner Sammlers. Versteigerung zu Berlin Montag, den 15. und Dienstag, den 16. Oktober 1894 (= Katalog Liepmannssohn), Berlin 1894, S. 59

Hochgeehrter Freund und Meister!
 
Der Anblick Ihrer freundlichen Zeilen hat mich nach so vielen Jahren der Trennung wahrhaft erfreut. Leider war ich gezwungen deren Beantwortung mehrere Tage aufzuschieben, indem ich, ernstlich unwohl, das Bett bis gestern hüten mußte. - Hinsichtlich Ihrer Anfrage wegen des Crociato, so bin ich (obgleich von dem in Ihrem Briefe verzeichneten Opern-Personals Ihres Theater‘s mir nur die beiden braven Künstler Dme Heinefetter und Herr Wild bekannt sind) doch von Ihrer tiefen Einsicht und auch von Ihren freundschaftlichen Gesinnungen für mich so innig überzeugt, daß ich mit dem allergrößten Vergnügen meine Zustimmung zu der Aufführung des Crociato in Kassel gebe, da Sie verehrter Meister die Haupt-Rollen desselben für das dortige Opernpersonal passend finden.1 Alle diejenigen kleinen Änderungen deren Sie in Ihrem Briefe erwähnen, werden gewiß auf das zweckmäßigste vollzogen werden, da Sie geehrter Freund so gütig sein wollen sich derselben zu unterziehen. - Was die Übersetzung des Buchs und sogar die2 Partitur des übersetzten Crociato‘s betrifft, so weiß ich daß drei bis vier verschiedene Übersetzungen desselben in Deutschland zirkuliren, von denen eine gut sein soll, die andern aber nicht und schlecht übersetzt, sondern auch die Partitur sehr verstümmelt und unkomplett sein soll. Ob die Ihnen angebotene Übersetzung3 u. Partitur der Mme Elmenreich4 zu der erstern oder letztern Gattung gehören, ist mir unbekannt.5 Wenn Sie jedoch Ihre Partitur und Buch des Crociato mir auf einige Tage zusenden wollen, so werde ich mir ein Vergnügen daraus machen, alles was in dieser Partitur fehlen oder verstümmel sein sollte zu ergänzen u. Ihnen mitzutheilen. Es müßte dieses jedoch im Laufe dieses Monats, oder allerspätestens anfang‘s des künftigen geschehen, indem ich gegen die Mitte des April‘s Berlin wieder verlassen werde. -
Ich kann diesen Brief nicht schließen, ohne Ihnen für den Genuß zu danken, den mir die Lesung der Partitur6 Ihres Meisterwerkes Pietro von Abano gewährt hat welche mir der Musikverleger Herr Schlesinger auf einige Tage mitzutheilen die Güte hatte, und es macht mich glücklich Ihnen sagen zu können, daß mich namentlich die Introduction des ersten Aktes, das erste Final (obgleich vom Dichter nur mit zwei Personen versehen) die Scene zwischen Antonio und der halblebendigen Cäcilie im 2ten Akt, u. die sinnreiche Art, wie die Saiten-Instrumente halb con sordini halb senza sordini den Dialog zwischen dem lebenden Antonio u der geisterhaften Cäcilie nuancirt, das imposante Finale des 2ten Aktes und außerdem noch eine Menge einzelner Züge herrlicher dramatischer Intentionen, trefflicher Deklamation neuer pittoresker Instrumentirung und Harmonisation wahrhaft entzückt haben u. in mir den lebhaftesten Wunsch erregen, einer Aufführung dieses Meisterwerks beizuwohnen. Kann ich es möglich machen meine Reise um einige Tage zu verlängern, so mühle ich den weitern Weg über Cassel, in der Hoffnung daß wenn ich Ihnen ein paar Wochen vorher den Tag meiner Ankunft daselbst anzeige kann Sie mir die große Vergünstigung erzeigen werden7 einer Aufführung Ihres trefflichen Werkes zu veranstalten. -
Genehmigen Sie verehrter Herr u. Freund die Versicherungen der Hochachtung und Freundschaft
 
Ihres
Verehrers
J. Meyerbeer
 
Berlin d 4t März 1828.
 
P.S. Meine ganze Familie empfiehlt sich Ihnen u. Ihrer Frau Gemahlin bestens - -

Autor(en): Meyerbeer, Giacomo
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Ellmenreich, Friederike
Heinefetter, Sabine
Schlesinger, Adolph Martin
Wild, Franz
Erwähnte Kompositionen: Meyerbeer, Giacomo : Il crociato in Egitto
Spohr, Louis : Pietro von Abano
Erwähnte Orte: Berlin
Kassel
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Schlesinger <Berlin>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1828030443

https://bit.ly/

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Meyerbeer. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Meyerbeer an Spohr, 20.02.1845.
Die Drucke 2 und 3 übernehmen den Text aus Druck 1, in dem der dort gegebene Ausschnitt sprachlich stark bearbeitet ist.
 
[1] Zur Kasseler Inszenierung vgl. „Kassel“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 30 (1828), Sp. 593ff. und 611-614, hier Sp. 612; „Cassel“, in: Münchener allgemeine Musik-Zeitung 1 (1828), S. 747f.
 
[2] Hier ein Wort oder 2-3 Buchstaben gestrichen.
 
[3] Vgl. Der Kreuzritter in Egypten. Heroische Oper in 2 Aufzügen. Musik von Mayerbeer. Nach dem Italienischen von Friederike Elmenreich, Karlsruhe 1827.
 
[4] Vgl. Spohr an Friederike Elmenreich, 08.02.1828.
 
[5] Spohr war mit der von Elmenreich gelieferten Partitur unzufrieden (vgl. Spohr an Elmenreich, 31.03.1828).
 
[6] „der Partitur“ über der Zeile eingefügt.
 
[7] „werden“ über der Zeile eingefügt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (26.09.2017).

 Ich kann mein Schreiben nicht schließen, ohne Ihnen für den Genuß zu danken, den mir die Lesung der von Herrn Schlesinger entliehenen Partitur Ihres Meisterwerkes „Pietro von Abano“ gewährt hat, und es macht mich glücklich, Ihnen sagen zu können, daß mich namentlich die Introduktion des ersten Aktes, das erste Final (obgleich vom Dichter nur mit zwei Personen versehen), die Scene zwischen Antonio und der halblebendigen Cäcilie im zweiten Akt und die sinnreiche Art, wie die Saiten-Instrumente halb con sordini, halb senza sordini den Dialog zwischen dem lebenden Antonio und der geisterhaften Cäcilie nüancirt, das imposante Finale des zweiten Aktes und außerdem noch eine Menge einzelner Züge herrlicher dramatischer Intentionen, trefflicher Deklamation, neuer pittoresker Instrumentirung und Harmonisation wahrhaft entzückt haben und in mir den lebhaftesten Wunsch erregen, einer Aufführung dieses Meisterwerks beizuwohnen [...]