Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,117

Sr. Wohlgeb
Herrn Wilhelm Speyer
in
Offenbach a/m


Cassel den 17ten
December 27.

Geliebter Freund,

Guhr bleibt doch immer der alte; immer hat er seinen Vortheil vor Augen und weder Achtung vor dem Künstler noch vor dem Kunstwerk. Es ist mir sehr unangenehm, daß er von meiner (hauptsächlich dramatischen) Musik einzelne Bruchstücke im Concert machen will und es muß nothwendig der Oper Schaden bringen, da diese Sachen, erstlich weil sie fürs Concert nicht so sorgfältig einstudirt werden und 2tens weil sie nicht dahin gehören, unmöglich den Effekt wie in der Scene machen können. Ich begreife nicht, wie die Direktion es leiden kann, daß ein für ihr Theater angefordertes Werk, so im Voraus in Bruchstücken vorgeführt werde. Da ich es leider nicht hindern kann, so bitte ich Sie ihn zu bewenden, daß er wenigstens die Introduzion, die durchaus in kein Concert gehört weglassen und statt dessen lieber das Duett in a im 2ten Akt N° 12 mache.
Der Clavierauszug ist an Schlesinger verkauft und geht morgen ab. Der Graf Brühl hat mir vor 8 Tagen sehr verbindlich geschrieben und die Oper ebenfalls bestellt; wie er versichert, soll sie diesen Winter noch in Scene kommen. Übermorgen wird sie hier wieder gegeben.
Die Heinefetter verläßt uns und geht für weniger als man ihr hier geboten hat, nach Frankfurt. Was sie zu diesen thörichten Schritt bringt kann niemand ergründen. Ich vermuthe, daß sie dort eher wie hier einen Mann zu finden hoffe. Wir stehen mit 2 andern jungen Sängerinnen in Unterhandlung. Die eine, Fräulein von Schlosser aus München soll vor einiger Zeit in Frankfurt gesungen haben. Haben Sie sie nicht gehört oder können Sie mir nicht ein zuverlässiges Urtheil üb[er ihre] Leistungen erstatten.
3 Sätze vom Doppelquartett sind fertig; so wie ich es hier habe ausschreiben lassen, werde ich Ihnen die Partitur überschicken.
Herzliche Grüße von den meinigen.
Mit wahrer Freundschaft stets

der Ihrige
Louis Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Speyer an Spohr. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 29.02.1828, aus dem sich noch ein derzeit verschollener Brief von Speyer an Spohr erschließen lässt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.03.2016).