Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,113
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 98 (teilweise)

Cassel den 29sten
October 27.
 
Geliebter Freund,
 
Beykommend erhalten Sie das Buch meiner Oper. Ich schicke es Ihnen, weil Sie gewünscht haben, es zu besitzen, aber auch aus eigennützigen Absichten, die ich Ihnen unverholen herschreiben will. Ich wünsche nämlich, daß Sie es Guhr zu lesen geben und wer sonst eine Aufführung in Frankfurt veranlassen kann. Ferner würde ich mich sehr freuen und es würde für die Weiterverbreitung der Oper von großem Nutzen seyn, wenn Sie Lust hätten über die hier gehörte Aufführung etwas zu schreiben. In der hiesigen Zeitung ist nach der 1sten Aufführung eine ganz kurze beyfällige Beurtheilung1 und nach der 2ten ein Gedicht (Sonett)2 erschienen und dabey wird es wohl bleiben. Bevor aber in fremden Blättern etwas über die Oper gesagt wird kann der Winter fast vorübergehen und dieß wäre doch für die Weiterverbreitung die günstigste Zeit!3 – Doch habe ich Hoffnung, daß sie im Laufe des Winters in Berlin zur Aufführung kommen wird. Spontini war nämlich 3 Tage hier und hat mich gebeten, ihm die erste Abschrift der Partitur zu schicken und ausgesprochen sie so bald wie möglich in Scene zu setzen. – Guhr hatte ihm am Donnerstag Nachmittag in Frankfurt gesagt, meine neue Oper werde den Freitag hier gegeben. Das hatte ihn veranlaßt, sich sogleich in den Wagen zu setzen und die ganze Nacht durchzufahren und er war sehr erstaunt zu hören, daß Freitag gar kein Theatertag bey uns sey. Da er einen Brief an H. v. Meisenbug hatte so benützte er diesen, um die Bitte an den Kurfürsten gelangen zu lassen, daß die Oper Sonnabend, oder doch wenigstens Sonntag sey. Die Götter hatten aber ein anderes beschlossen; Wild wurde krank und liegt noch zu Bette. Spontini blieb auf unsere Bitten gestern noch hier und war mit seiner Frau in Wilhelmshöhe unser Gast. Sie können beyde sehr liebenswürdig seyn und wir haben zusammen einen recht frohen, angenehmen Tag verlebt. – Zur 2ten Aufführung der Oper waren der Amtmann Lueder, seine Frau und viele andre Freunde hier. Sie ging diesmal vorzüglich und ohne alle Fehler. Eine wahre Totenstille vom Anfang bis zum Ende bezeugte die rege Teilnahme eines jeden Zuhörers. Zu einem rauschenden Beifall kam es aber nur einigemal und am Schluß der Oper; aber grade die ergreifendsten Momente gingen ohne solchen vorüber. Die Abänderungs und Verkürzungen (mit welchen das beyliegende Buch geschrieben ist) thaten sehr gut und ich halte die Oper ihrem Stoffe und der Bearbeitung nach nun für das beste Ereignis der Art der letzten 20 Jahre. Meine Freunde sind derselben Meinung; die Frauen finden aber mehrere Scenen zu gräßlich! –
Für Ihren lieben Brief meinen herzlichen Dank. Die Nachricht vom Tode zweier Bekannter hat mich erschreckt; besonders beklage ich Mad. Reinherz und ihre Kinder, auch Hauser wenn er wirklich auch dieses Kind4 verlieren sollte!
Meine Frau und Familie erwiedern die Grüße Ihrer lieben Frau auf das herzlichste. Auch bitte ich, Ries und Küper bestens zu grüßen.
Mit inniger Freundschaft stets ganz
 
der Ihrige
Louis Spohr.
 
NS. den 30sten Spontini hat die Heinefetter in Gegenwart von Sieber und andern sehr beschämt, indem er ihr Vorgeben „man habe ihr in London 400 offerirt” geradezu als Unwahrheit erklärt hat. Mir sagte er, man könne und werde ihr nicht 3000 Rth geben. Er hat ihr, wie ich ersehen, nachdem sie ihm in den wandernden Comödianten von neuem sehr gefallen hat, Offerten (ich vermuthe unter 3000 Rth) gemacht; ist aber schnöde abgewiesen worden. Auch war er bey der Abreise nicht gut auf sie zu sprechen. – Da nun die Aussichten in Wien auch nicht vielversprechend sind, so hoffe ich, wir werden sie doch vielleicht noch behalten.
Erfreuen Sie uns bald mit Neuigkeiten von sich.
 
der Ihrige
L. Sp.



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Speyer an Spohr. Speyers Antwortbrief ist derzeit ebenfalls verschollen.
 
[1] Noch nicht ermittelt.
 
[2] Noch nicht ermittelt.
 
[3] Tatsächlich erschienen im November noch ein paar Notizen zur Aufführung: „Cassel im October 1827”, in: Allgemeine Musikzeitung zur Beförderung der theoretischen und praktischen Tonkunst 1 (1827), Sp. 298f.; v.A., „Aus einem Briefe. Cassel, 15. October 1827”, in: ebd., Sp. 299f.; Philomelos, „Cassel, 12 October 1827”, in: ebd., Sp. 299Münchener Allgemeine Musik-Zeitung 1 (1827), Sp. 127; „Mancherley”, in: Sammler 19 (1827), S. 528
 
[4] Hausers Sohn Franciscus Raymondus starb am 28.11.1827 (Dale A. Jorgenson, The Life and Legacy of Franz Hauser. A Forgotten Leader in the Nineteenth-Century Bach Movement, Carbondale und Edwardsville 1996, S. 27).
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.02.2016).

Cassel, 29. Oktober 1827.
Sie ging diesmal vorzüglich und ohne alle Fehler. Eine wahre Totenstille vom Anfang bis zum Ende bezeugte die rege Teilnahme eines jeden Zuhörers. Zu einem rauschenden Beifall kam es aber nur einigemal und am Schluß der Oper; aber gerade die ergreifendsten Momente gingen ohne solchen vorüber. Die Abänderungen und Küzrungen waren sehr gut und ich halte die Oper ihrem Stoffe und er Bearbeitung nach nun für das beste Ereignis der Art der letzten zwanzig Jahre. Meine Freunde sind derselben Meinung; die Frauen finden aber mehrere Szenen zu gräßlich! ...
Spontini war drei Tage hier. Guhr hatte ihm am Donnerstag Nachmittag in Frankfurt gesagt, meine neue Oper werde den Freitag hier gegeben. Das hatte ihn veranlaßt, sich sogleich in den Wagen zu setzen und die ganze Nacht durchzufahren und er war sehr erstaunt zu hören, daß Freitag gar kein Theatertag bei uns sei. Er blieb auf unsere Bitten gestern noch hier und war mit seiner Frau in Wilhelmshöhe unser Gast. Sie können beide sehr liebenswürdig sein und wir haben zusammen einen recht heiteren, angenehmen Tag verlebt ...