Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Seiner Wohlgeboren
Herrn Kapellmeister Spohr.
Cassel am 18ten October 1827
Hochgeehrtester Herr Kapellmeister!
Vergönnen Sie mir in Beziehung auf die1 Gespräche über meine Oper, noch zwei Bemerkungen, welche ich nicht ursprünglich selbst gemacht, die ich aber bei reiferem Nachdenken gegründet befunden habe.
1) Im vierten Auftritt des ersten Acts sagt der Bischoff an Pietro: „er ist ein Heuchler“, ohne daß dieser Vorwurf bis dahin, oder in den zunächst folgenden Worten motivirt würde; denn es ist daselbst immer nur von seinen Irrlehren, Zaubereien usw die Rede, welche ihn zwar wohl als einen Bösewicht, aber nicht gerade als einen Heuchler darstellen. Von den Handlungen, welche ihm den darauf die Heuchelei zu ziehen könnten ist erst später die Rede; und ich kann daher demjenigen nicht gerade widersprechen, der den Verfasser hier einer groben Inconsequenz beschuldigt. Leider bin ich mir gerade hierbei der einzige Schuldige, und ich erlaube mir daher zu Ausbesserung des Fehlers, den Vorschlag, dass die auf der zweiten Seite des hier beiligenden Exemplars2 mit Bleistift aufgeschriebenen Worte „ein Heuchler?“ hinweggelassen werden möchten; worunter der Sinn nicht im mindesten leiden kann, da alle Sätze dennoch ineinander passen. Herr Seidelmann wird gewiß hiermit einverstanden sein.
2) Zum 9ten Auftritt des 2ten Acts, wird allgemein die Bemerkung gemacht, daß man die, schon von sich etwas anstößige Geschichte von Cäciliens Wiedererweckung hier zum dritten, oder, wie Andere sagen, zum fünften Mal erfahre. Auch dieser Vorwurft ist zum Theil gegründet; und da nun die Scene einmal nicht ganz hinwegbleiben kann, Sie auch nicht wünschen daß Antonios ganze Erzählung gestrichen werde (damit der Hörer erfahre, auf welche Weise Antonio in Cäcilia’s Gemach gelangt ist, so bleibt mir nur die dringende Bitte und der unmaßgebliche Vorschlag übrig, doch wenigsten soweit als möglich jener Auftritt gekürzt werde. Das Publikum weiß ohne Zweifel sogleich, was Antonio dem Bischoff zu vertrauen beabsichtigt; und es genügt daher, wenn beide leise miteinander reden, bis dahin, wo Antonio sein Eindringen in Cäcilien’s Gemach erzählt. Es würde alsdann in der vorhergehenden Scene3 nach Beendigung des Quartetts, so heißen:
Podesta, Eudoxia, Cäcilia ab ins Nebenzimmer; Antonio bleibt einen Augenblick sinnend stehen, während dessen tritt der Bischoff ein, und fragt Antonio durch ein Zeichen mit der Hand, wo der Podesta mit seiner Familie sich befinde. Antonio deutet ihm das Zimmer (gleichfalls nur mit der Hand) an, nimmt aber den Bischoff bei Seite, und redet – (während noch der Chor des Volkes im Abziehen fortdauert) – heimlich mit ihm, wobei allenfalls noch der Sinn des Gesprächs – (den ohnehin Jeder erräth) – durch Gebärden angedeutet werden kann. Sobald der Chor ganz aufgehört hat, treten beide vor, und fahren nun laut im Gespräche fort, und zwar (auf der 2ten Seite des hier gleichfalls beigelegten Exemplars) mit dem mit Bleistift bezeichneten Worten des Bischoffs „O ewiger Gott! Woher aber reicht da das Entsetzliche?“, von wo denn das Gespräch bis zu Ende unabgeändert fortdauern kann.
Hiebei möchte ich auch wiederholt gehorsamst bitten, daß die Schlussworte dieses Gesprächs, welche allzu kirchlich klingen, hinweggelassen werde möchten; (nämlich die Worte: „Ich gehe jetzt, um mich durch stille Andacht u.s.w.“ so wie Antonios Antwort). Es wird sehr wohl passen, wenn der Bischoff schon bei den Worten „und auf dem Holzstoß rede er dann“4 sich nach der Thür wendet und mit Beendigung dieses Satzes, von Antonio begleitet, sich durch die Thür entfernt. Sollte ein Hörer bemerken, daß er hierbei seinen anfänglichen Vorsatz, den Podesta zu besuchen, aufgibt, so wird dieß mit der Wichtigkeit der erhaltenen Nachricht sehr natürlich entschuldigt. Antonio kehrt sogleich zurück, und singt sein Recitativ.
Verzeihen Sie, geehrtester Herr Kapellmeister, daß ich Sie nochmals mit diesen für Sie gewiß höchst gleichgültgien Bemerkungen belästige; ich bin indess von der guten Wirkung doer vorgeschlagenen Abänderungen fest überzeugt, und die Musik leidet ja am meisten, wenn das Zwischen-Gespräch5 einen störenden Eindruck hinterläßt. Die erwähnten Punkte beziehen sich übrigens alle auf den Bischoff selbst, und H Seidelmann würde daher, wenn er sich von der Richtigkeit überzeugen sollte, bei6 der Ausführung keine weitere Mühe mehr haben.
Mit ausgezeichneter Hochachtung verharre ich
Ihrer Wohlgeboren
gehorsamster
CPeiffer
Autor(en): | Pfeiffer, Carl |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Seydelmann, Carl |
Erwähnte Kompositionen: | Spohr, Louis : Pietro von Abano |
Erwähnte Orte: | |
Erwähnte Institutionen: | Hoftheater <Kassel> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1827101830 |
Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Pfeiffer, 13.09.1827.
[1] Hier gestrichen: „die“.
[2] Bei Autograf vorhanden.
[3] Hier gestrichen: „so früher“.
[4] Hier gestrichen: „s“.
[5] „Zwischen-“ über der Zeile eingefügt.
[6] „bei“ über gestrichenem „an“ eingefügt.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.12.2021).