Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. Mus.ep. Spohr-Correspondenz 2,155
Druck 1: [Ernst Rychnovsky], Beschreibendes Verzeichnis der Autographen-Sammlung Fritz Donebauer in Prag, 2. Aufl., Prag 1900, S. 234 (teilweise)
Druck 2: Ernst Rychnovsky, „Ludwig Spohr und Friedrich Rochlitz. Ihre Beziehungen nach ungedruckten Briefen”, in: Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft 5 (1903/04), S. 253-313, hier S. 279f.
Beleg 1: Autographen-Sammlung enthaltend Musiker-Briefe und Musik-Manuskripte aus dem Nachlasse des berühmten Komponisten Louis Spohr (1784-1859) nebst Beiträgen aller Art (Fürsten, Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, Künstler, etc.) aus dem Besitz eines bekannten Berliner Sammlers. Versteigerung zu Berlin Montag, den 15. und Dienstag, den 16. Oktober 1894 (= Katalog Liepmannssohn), Berlin 1894, S. 63
Beleg 2: Sammlung Fritz Donebauer, Prag. Briefe, Musik-Manuscripte, Portraits zur Geschichte der Musik und des Theaters. Versteigerung vom 6. bis 8. April 1908 (= Katalog Stargardt), Berlin 1908, S. 97
Beleg 3: Autographen, Manuskripte, Partituren, Bücher (= Katalog Boerner 16), Leipzig 1910, S. 70
Beleg 4: Georg Kinsky, Versteigerung von Musiker-Autographen aus dem Nachlaß des Herrn Kommerzienrates Wilhelm Heyer in Köln im Geschäftslokal der Firma Karl Ernst Henrici. Montag, den 6 und Dienstag, den 7. Dezember, Bd. 1, Berlin 1926, S. 100

Leipzig, d. 26sten Febr. 27.
 
Ich hätte Ihnen, theurer Freund, längst schreiben sollen. Lassen Sie mich die gewiß gegründeten Entschuldigungen übergehen und glauben Sie mir aufs Wort: ich konnte nicht.
Zuvörderst sage ich Ihnen herzlichsten Dank für das mir durch Hrn. Weiße1 zugesandte Expl. des Klavierauszugs des Oratoriums. Mit Ernst und Fleiß bin ich es mehrmals durchgegangen. Sie wissen, daß ich viel davon erwarte: aber wahrlich, in dem, was aus einem Auszuge sich beurtheilen läßt, übertrifft es alle meine Erwartungen: so wird dies ja auch der Fall seyn mit dem, was sich daraus nicht beurtheilen läßt. Ich zweifle durchaus nicht: Sie haben sich damit ein Denkmal gesetzt, das nach und nach sich überall einführen wird und Sie weit überleben, wie viele Jahre Ihnen auch Gott schenken möge. Um so lieber ist es mir, daß ich zum Text keine Cantate, worüber der Geschmack, und selbst keine historischen Schilderungen aus der heil. Schrift, worüber die Zeitvorstellungen sich ändern, gewählt habe, sondern eben das, was gewählt worden ist und worauf die Zeit keinen Einfluß hat. Darum ertrage ich auch gern, daß bisher der Einzige, der (in der Cäcilia) mit einiger Einsicht über das Werk geschrieben, nicht nur meine wohlbedachte Absicht nicht im Geringsten anerkennt, sondern sogar mich wie einen Schulbuben gehofmeistert hat2; ich werde es auch ruhig ertragen, wenn es Andere auch so machen sollten, gewiß, daß eine spätere Zeit anders denken wird, wenn ich sie auch nicht erlebe. Die Folge und Gruppierung der Gesangstücke, sowie den Gedanken, die Instrumentalmusik jenen, vorher noch nie ihr zugestandenen Antheil zu überlassen, wie nun Beyden durch ihre Ausführung erst recht zur Anschauung kömmt, muß ich rühmen, und wenn ich das auch sonst von nichts könnte, das jemals von mir ausgegangen: jede gute Aufführung, und besonders jede, vor Andächtigen, nicht zu einem Freudenfeste versammelten Zuhörern, wird dies bewähren.
Eine solche Aufführung wird nun gewiß die,3 den Palmsonntag hier in Leipzig seyn; und man sehnt sich schon darnach. Die Institute der Singakademie und des Musikvereins haben, aus Antheil am Werke, an Ihnen und an mir, beschlossen, von ihrem Gesetz eine Ausnahme zu machen; und so werden, wo nicht alle, doch die meisten und besten Mitglieder an der Aufführung theilnehmen, ohne darum den Armen das Eintrittsgeld zu entziehen. An Proben soll es nicht fehlen. Darum lassen Sie mich aber auch die Bitte wiederholen, daß Sie Partitur und Stimmen Hrn. Baumeister Limburger oder Hrn. Hofrath und Professor Wendt nicht später, als vier Wochen vor dem Tage kommen lassen. Könnten wir Sie doch zur Aufführung hier sehen! Doch das ist ein unbilliger Wunsch, den ich mir nicht verstatten will. Machen Sie doch uns und unseren Armen ohnehin schon so ein beträchtliches Geschenk! –
Daß unser Musikd. Schulz, uns allen höchstunerwartet, nach kurzem Krankenlager gestorben4, und daß Ihr Verleger, Peters, in einem Zustand solcher Narrheit verfallen ist, daß die Obrigkeit hat einschreiten und ihn nach Dresden, in ein5 Institut für solche Kranke, bringen müssen: das wird Ihnen schon bekannt seyn. Pohlenz, Director des Musikvereins und Organist an St. Thomas, ist nun auch Musikdirector des Concerts. Wir versprechen uns viel Gutes von seiner Regsamkeit, Geschicklichkeit und seinem Enthusiasmus für gute Musik aller Art. – Mir wird dieser harte Winter schwer; doch habe ich mich bisher wenigstens noch auf den Füßen und in meiner Thätigkeit erhalten können. –
Leben Sie wohl, theurer Freund, und behalten Sie in treuem Andenken
 
Ihren
Rochlitz.

Autor(en): Rochlitz, Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Limburger, Jacob Bernhard
Peters, Carl Friedrich
Pohlenz, Christian August
Schulz, Christian
Weiße, Carl
Wendt, Amadeus
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1827022636

Spohr



Der letzte überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Rochlitz, 01.11.1826. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Rochlitz an Spohr, 09.04.1827.

[1] Noch nicht ermittelt.
 
[2] „Der Dichter hat einzelne Kraftstellen der Offenbarung Johannis, nicht metrisch, sondern bloss rhythmisch, zu Chören zusammengestellt, diesen einige Solo's und Recitative, ohne grosse Bedeutung, untergemischt, dann zwei Theile gemacht, weil es sich so gehört, und, wie natürlich, mit dem Hallelujah geschlossen. Nun fehlt es diesen Chören selbst keineswegs an lyrischem Schwung und einer gewissen Erhabenheit, aber das Werk ermangelt so durchaus alles epischen Zusammenhanges (wenn man, wie wir glauben, etwas Ähnliches selbst von dieser Zwittergattung von Hymnus und Drama verlangen kann), dass man in den meisten Fällen sich vom Texte gänzlich verlassen sieht, wenn man über die Bedeutung des Einzelnen sich Rechenschaft geben will.” ([Friedrich] Deycks, „Das grosse Niederrheinische Musikfest 1826, in Düsseldorf”, in: Cäcilia 4 (1826), S. 61-76, hier S. 63f.).
 
[3] „die,” am Rand eingefügt.
 
[4] Vgl. [Friedrich] Rochlitz, „Nekrolog. (Johann Philipp) Christian Schulz”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 29 (1827), Sp. 101-104.
 
[5] „ein” über der Zeile eingefügt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.09.2016).