Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,103

Cassel den 4ten December 26.

Geliebter Freund,

Ich habe Ihnen lange nicht geschrieben und und fühle mein Unrecht. Eine Menge von ungewöhnlichen Geschäften und Zerstreuungen hielten mich ab; anfangs die Antrittsrollen der Heinefetter, dann Correspondenz, Correktur u.s.w. die Herausgabe des Oratoriums betreffend. Nun sollen Sie aber heute über alles, seit meinem letzten Briefe vorgefallenes Nachricht bekommen.
Die Heinefetter hat bisher in allen ihren Rollen gefallen.1 Als Susanne2 und Pamina ist sie wirklich sehr ausgezeichnet, allenfalls fehlt es der g moll Arie an Gefühl. Zum Sextus geht ihr noch die elegante Leichtigkeit in Passagen ab. Aber alles war ihr fehlt, kann sie sich bey ihren glücklichen Naturanlagen noch leicht erwerben und ich hoffe, daß wir in ihr bald eine der ersten deutschen Sängerinnen besitzen werden. Unsere Oper hebt sich überhaupt mit jedem Tage, sowohl in ihrem Ensemble wie auch in der Gunst des Publikums. Es ist nun auch Hauser wieder engagirt und wir werden behaupten können, das beste Gesangpersonal in Deutschland zu besitzen.
Mein Unternehmen scheint recht gehen zu wollen.3 Es sind schon so viel Bestellungen eingelaufen, daß ich nach einem ohngefähren Überschlag der noch zu erwartenden, eine Auflage von 700 Exemplaren kann machen lassen. Von diesen werden freylich 100 zu Freyexemplaren dienen müssen. Doch wird mir nach Abzug aller Kosten ein bedeutender Gewinn bleiben. Ich bin aus vielen Städten um Abschrift der Partitur gebeten worden und da ich es gern habe wenn das Werk häufig aufgeführt wird, so habe ich mit Vergnügen zugesagt.
Nun wünsche ich aber die Partitur, behufs dieser Abschriften, so bald wie möglich wieder zu erhalten. Da ich aber nicht hoffen darf, daß Guhr gleich tags nach der Aufführung die ihm geliehenen Stimmen und Partitur wieder zusammenpacke, so würden Sie mich sehr verbinden, wenn Sie sich auf irgend eine Weise der Sache annähmen, oder jemand, vielleicht die Callikanten4, beauftragten, nach einem, den Stimmen beygelegten Verzeichniß, dieselben zusammen zu packen und mir mit der Partitur mit erster fahrenden Post zu übersenden.
Von Robert habe ich gestern eine Oper zugeschickt erhalten, von der der 1ste Akt ganz fertig ist und die 2 folgenden skizirt sind.5 Leider sagt sie mir aber weder in der Hauptidee, noch theilweise in der Ausführung zu, und ich weiß bis jetzt noch nicht, ob sie sich nach meinen Wünschen wird umarbeiten lassen oder ob sie ganz wieder vom Dichter verworfen werden wird. – Die Idee, sie hier zum Geburtstag des Kurfürsten zu vollenden werde ich nun aufgeben müssen; davon liegt aber auch nichts. Im Gegentheil ist es mir lieb, wenn ich nicht gedrängt bin und jedesmal den günstigen Moment zur Arbeit abwarten darf. Bis zum Herbst kann sie dann doch fertig werden und in Scene gehen.
Das 2te Quartett ist auch fertig und bereits einmal in unserm wöchentlichen Quartett-Zirkel aufgeführt worden. Nun habe ich das 3te Quartett begonnen. Von den, von unserm Orchester unternommenen Winterconcerten sind bereits 2 gewesen. Im ersten wurde eine neue, herrliche Komposition von Hauptmann, eine Messe, von unserm Cäcilienverein gesungen, im 2ten war die c moll Sinfonie von Beethoven, die vortrfflich ging, das bemerkenswerteste. Im 3ten Weihnachtsfeyertage werde ich mein neues Concert spielen.
In unsrer Familie ist alles wohl. Ida fühlt sich als Mutter sehr glücklich, obgleich ihr ihr Kind, welches sie selbst stillt, viel Unruhe macht. Alle die meinigen grüßen herzlichst. Unveränderlich der Ihrige L. Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 24.10.1826. Speyers Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] Vgl. „Cassel”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 29 (1827), Sp. 139-143, hier Sp. 141f. 

[2] Eine andere Meinung vertritt: „Cassel den 14ten September 1826”, in: Münchener allgemeine Musik-Zeitung 1 (1827), Sp. 766f., hier Sp. 768

[3] Die Subskription zu seinem im Eigenverlag erschienenen Klavierauszug von Die letzten Dinge.

[4] Callikant: in der Bedeutung Balgtreter für die Orgel belegt in: J.G. Fußenecker, Ernst, Satyre und Humor in Versen und Prosa, 3. Aufl., Günzburg 1854, S. 95f. Demnach andere Schreibweise für Calcant, was im 19. Jahrhundert bisweilen auch Orchesterdiener bezeichnete (vgl. Theater-Lexikon. Theoretisch-practisches Handbuch für Vorstände, Mitglieder und Freunde des deutschen Theaters, hrsg. v. Ph.J. Düringer und H. Barthels, Leipzig 1841, Sp. 799). 

[5] Vgl. Ludwig Robert an Spohr, [Datum].

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (26.02.2016).