Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Seiner Wohlgebohren
dem Herrn Kapellmeister Spohr
in
Cassel1
Ew. Wohlgebohren
verehrliches Schreiben vom 21st d. sollte ich eigentlich durch Uebersendung eines Scenariums einer Oper beantworten; da dieser Theil der Arbeit aber gerade das wichtigste und schwierigste ist und daher nicht so bald beendet seyn dürfte, so will ich Sie nicht so lange mit Antwort warten lassen, besonders da Sie dieselbe, wie Sie sagen, mit Sehnsucht erwarten. Ich erwiedere also, daß ich Ihr Anerbieten annehme2: Ihnen für den Preis von fünfhundert Gulden Rheinisch (den Zahlungs-Termin mögen Sie selbst bestimmen) ein Operngedicht von 3 Aufzügen dergestalt anzufertigen, daß Plan und Scenarium und (wo möglich) der vollständig ausgearbeitete 1st Aufz. bis zum 1st Januar 1827 beendet seyn sollen, die beiden andern Akte aber bis zum 1st Maerz, und wo möglich früher, nachgeliefert werden, erkläre überdies meine Bereitwilligkeit, jede Aenderung, die in musikalischer Hinsicht von dem Herrn Kompositeur für nothwendig erachtet werden dürfte, sogleich selbst zu bewerkstelligen, wogegen dieser aber verspricht durchaus keine Aenderung des Gedichts, weder vor noch nach der Aufführung der Oper von einem Andern als mir anfertigen zu lassen. Alles was in der Oper gesungen wird oder melodramatisch von Musik begleiteten Rede darf der Komponist drucken, stechen, oder litographiren lassen, verpflichtet sich aber die Oper samt der Rede, als das vollständige Werk als dramatisches Gedicht keinem Buch- oder Musikhändler zu verkaufen, indem dieses Eigenthum des Dichters bleibt, worüber er jedoch nur nach vorhergegangener Darstellung in Cassel zu disponien hat. Nach dieser Stipulation unseres getroffenen Uebereinkommens fühle ich mich aber gedrungen, Sie noch einmal aufmerksam zu machen, ob Sie meine Fähigkeit ein Opergedicht zu schreiben auch nicht übersschätzen? Was ich bis jetzt in dieser Gattung geleistet habe, genügt – mir wenigstens – noch bei weitem nicht; doch glaube ich durch diese zum Theil verfehlte und theilweise gelungene Arbeiten etwas gelernt zu haben. Ich weiß aus allen Zeichen daher nicht nicht besser zu athen, als wenn ich mich zu meiner schon früher ausgesprochenen Rechts-Einräumung verpflichte: nehmlich, meine Arbeit, und sollte sie schon vollendet seyn, zurückzunehmen, im Fall Sie Ihnen und Ihren Kunstgenossen nicht behagen sollte.
Was mir aber einigermaßen die Hoffnung giebt, daß wir uns verständigen werden; das ist der wirklich sonderbare Zufall, daß Sie mir einen Stoff vorschlagen, der in meinen Notizen-Buch schon seit einigen Jahren, als zu einer Oper sehr tauglich, und mit einem großen NB bemerkt, eingetragen steht. In diesem Augenblick aber kann ich Ihnen hierüber nichts weiter sagen, da es schon Jahre her ist, daß ich diese Geschichte gelesen habe, und ich also nicht viel mehr davon weiß. Nur so viel schwebt mir vor, daß die Zigeunerin die Haupt-Person in der Gruppe werden müßte. Doch ich bin noch gar nicht gewiß, ob wir diesen Stoff wählen werden. Ich muß erst noch manches andere lesen. Z.B. (die Amazonen-Königin) Penthesilia von Heinr. v. Kleist. Suchen Sie sich doch dieses Trauerspiel (das für die Oper in ein Drama zu verwandeln wäre) zu verschaffen, und sagen Sie mi Ihre Meinung, ob Ihnen dieser strenge Stoff nicht vielleicht besser zusagen würde, als eine romantische Oper. Ueberhaupt wünschte ich hierüber noch Ihre Wünsche zu erfahren. Wollen Sie ein farbiges heiteres Gedicht? wäre Ihnen ein ernstes strengeres lieber? Sollten die antithetischen Massen die einander gegenübergestellt werden müssen aus zwei Theilen bestehen, nehmlich ein ernstes u ein heiteres, ein leidenschaftliches und naiv-liebliches, ein böses u gutes Element – oder soll zu den Zweien noch ein drittes hinzukommen, das heroische und komische nehmlich, daß sich um beide wie ein leichtes Gewinde herumschlingt? – So kunstgewiß das letztere doch seyn mögte, so gebe ich Ihnen dabei doch zu bemerken 1) daß entweder hierdurch der eigentlichen Grenze des Dramas Eintrag geschieht, oder daß die Oper dadurch verlängert wird 2) daß unser Theaterpublikum nichts weniger versteht, nichts mehr mißdeutet, als die Ironie, wenn sie da steht, wo sie eigentlich hingehört, nehmlich tritt neben dem Erhabenen. Doch wünschte ich von Ihnen zu wissen, wie Sie es mit den Worten zum Gesang, mit dem eigentlichen Texte wollen gehalten wissen? Nehmlich: Wünschen Sie weniger und große Musikstücke, oder mehrere und recht vorübergehende? wünschen Sie wenig Worte, um vielfach wiederholen und das Musikstück durchführen zu können, oder mögen Sie viele Worte, d.h. wollen Sie dem Dichter gewißermaßen einen Theil der Komposition überlassen, so daß der schon dasjenige im Gedicht ausdrückt, was bei wenigen Zeilen der Komponist, durch Wiederholung dieser Zeilen hineinlegt. Ich glaube, daß wenige und langdauernde Nummern unser ungeduldiges Publ. ermüden, und daß wenn diese Musikstücke nicht mit steter Handlung begleitet sind, sondern nur eine Empfindung ausspinnen, daß sie alsdann den Komponisten allszuleicht verlocken, statt dramatischer-, Konzert-Musik zu geben. Wiederholungen der Worte aber, wenn [der] Dichter diese nicht mit Absicht dazu bestimmt hat, erscheinen wenigstens als Notbehelf, wenn nicht gar als Mißstand. Dagegen bin ich aber sehr für eine farbige helle Kantilene, die auf dem Grunde und Wendepunkt des Dramas gesetzt wird, und die, wie ein großartiger erhabener Refrain, unter verschiedenen Situationen, als eine3 dem Zuhörer schon bekanntes und doch räthselhaftes, wieder sich vernehmen läßt. Ich bitte mir hierüber Ihre Wünsche mitzutheilen: denn ich will Alles so einrichten, wie Sie es wollen; nur muß ich dieses schon bei Entwerfung des Planes wissen; denn wie der Grundriss, so wird auch das Gebände. Einen Rath aber nehmen Sie von mir, als von einem Manne, der im Parterre und zwischen den Coulissen groß geworden ist (nehmlich 5 Fuß 5 Zoll). Sorgen Sie für Gesangreiche Kantilenen für neue Figuren, für pikante Instrumentirung, und für theatralische Schlageffekte mehr, als für4 tiefsinnig-gelehrte und durch künstliche Tonarten durchgeführte Ideen. Richten Sie alle Musikstücke, wo die Handlung nicht mächtig fortschreitet, wo die Empfindungen sich aussprachen kurz ein, so daß bei Romanze, Aria, und zärtlichen Duett, der Zuhörer sich fragen muß: Ist es schon vorüber? Schade! Deswegen dürfen nur die großen Ensemblestücke und besonders die Finale schon länger seyn und das ist der wahre und einzige Ort, wo der dramatische Tonsetzer seinen Gelehrsamkeit und seinen Tiefsinn zeigen darf, weil er eben hier (wenn nur Dichter einigermaßen seine Sache versteht) nicht Gefahr läuft Konzert-Musik auf der Bühne zu geben. Verzeihen Sie meine Dreißstigkeit!! – Wohl haben Sie recht, daß nichts so hölzern klingt, als die unmittelbare Rede nach dem Gesang. Immer ist es nicht, oft aber durch Übergänge (rezitativische oder melodramatische) zu vermeiden. Ueberhaupt aber werden Sie sehen, wie wenig Dialog in unserer Oper vorkommen soll. Denn nur durch den äußerst sparsamen Dialog unterscheidet sich, meines Erachtens, die Oper von dem Schauspiel mit Musik. So wenig man in dem letztern große Gänger u Sängerinnen verlangen kann; so wenig kann man diesen in der Oper zumuthen, große Sprech-Rollen gehörig auszuführen. Doch auf den deutschen Bühnen verlangt man ja Alles von Allen. Das wollen wir aber nicht! Lieb war es mir, daß Sie die Personenzahl angedeutet haben. Also 2 Bässe, 2 Soprane, einen Tenor (ich hoffe aber sehr, daß Sie auch nöthigenfals einen Zweiten bei Ihrer Bühne haben.) Sonst weiß ich auf Ihr geehrtes Schreiben nichts hinzuzufügen. Ich werde nachdenken u lesen und erwarte Ihre ausführl. Antwort auf meine Fragen, bitte aber Ihre Briefe nicht mehr zu frankiren, da wir ja nun in ein gegenseitiges Geschäftsverhältniß stehen
Achtungsvoll der Ihre
Ludwig Robert
Autor(en): | Robert, Ludwig |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | |
Erwähnte Kompositionen: | |
Erwähnte Orte: | |
Erwähnte Institutionen: | |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1826102449 |
Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Robert, 21.10.1826. Spohr beantwortete diesen Brief am 30.10.1826.
Einen Postweg von wenigstens zwei Tagen vorausgesetzt, entstand dieser Brief frühestens am 23.; dem Poststempel zufolge spätestens am 24.10.1826.
[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts unten der Poststempel „CARLSRUHE / 24 Oct 1826“.
[2] „annehme” über der Zeile eingefügt.
[3] „eine“ über der Zeile eingefügt.
[4] Hier gestrichen: „eine“.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (04.07.2022).