Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,98

Cassel den 2ten August
26.

Geliebter Freund,

Guhr ist wirklich sehr naiv, ein Werk von mir zu verlangen, das noch nicht einmal im Clavierauszug gestochen ist; und es zu seinem Besten geben zu wollen, während ich selbst noch nicht das mindeste damit verdienst habe. Er hat es, meine ich, eben nicht um mich verdient, daß ich ihn begünstige! Ich habe mir genau vorgenommen, wenn nun der Clavierauszug gestochen seyn wird; wenn es dann von irgend einem Verein einstudirt und zu irgend einem wohlthätigen Zweck gegeben werden soll, sämtliche Orchesterstimmen (die ich für ein Orchester von 200 Personen besitze) dazu unentgeldlich zu borgen; will aber irgend ein Verein, die Partitur als Eigenthum erwerben so werde ich mir wenigstens 10 Louis d’or als Honorar zahlen lassen. Ich hätte indessen gern gesehen, damit Sie und andre Frft. Musikfreunde das Werk gehört hätten, wenn Schelble (z.B. zum Besten der Garnison) eine große Aufführung davon veranstaltet hätte und ich hätte ihm gern alle Stimmen dazu geschickt; das hat aber Zeit bis der Clavierauszug fertig ist. – Wollte ich aber auch Ihrer Versprechen wegen, Guhr das Werk zur Aufführung geben, so würde doch keine würdige zu Stande kommen, da seine Behauptung, der Cäcilien-Verein werde mitwirken, sicher bloßer Wind ist. Denn wenn auch einige Männer mitsingen sollten, von den Frauen versteht sich sicher keine dazu, im Theater zu Guhrs Benefiz zu singen. Er würde alles einschließlich des Chors immer sehr kläglich ausfallen. Auch ist das Theater kein, für dieß Werk, geeignetes Lokal. Ich muß überhaupt ein wenig über den Ruf dieses meines Lieblingswerkes wachen und Sorge tragen, daß es in Ansehn bleibe. Auch habe ich noch nicht einmal mit dem Verleger aushandeln können (Peters ist in Dieppe im Bade)1 und weiß noch nicht, ob es vortheilhafter für mich sey, es in Partitur oder im Clavierauszuge stechen zu lassen; ich glaube aber letzteres.
Wegen eines Opernbuchs habe ich mich an Tieck gewandt2 und erwarte stündlich die Antwort, ob er es machen will oder nicht: Sollte er es ablehnen, so will ich mich Ihrem Rathe gemäß, an Robert wenden.3 Unterdessen schreibe ich wieder Quartetten und habe eins bereits fertig. Auch ein Lied habe ich vor einigen Wochen gemacht und mögte gern mehrere schreiben wenn ich nur gute Texte zu finden wüßte.
Von München aus wird mir gemeldet, daß Faust besonders bey der 2ten Aufführung großen Beyfall gehabt habe.4 – Die Schulz wird auch zu uns kommen und auch hier wie in Leipzig und Frankfurt die Jessonda singen.
Die Partitur der Dame blanche ist die miserabelste und schlechtgeschriebenste, die mir je unter die Augen gekommen ist, auch ist der Text ganz erbärmlich unterlegt oder vielmehr, er paßt garnicht. Es ist etwas unverschämt von Mad. Elmenreich, ein solches Gesuhl zu verschicken und sich viel Geld dafür bezahlen zu lassen. – Leben Sie wohl. Die herzlichsten Grüße von uns alle an die lieben Ihrigen. Ewig Ihr Fr.
L. Spohr.

NS. Auf der 4ten Seite ist noch eine Nachschrift.

NS. Ich lese so eben nochmals Ihren Brief und finde, daß Sie Guhr versprochen haben, seinen Wunsch bey mir durchzusetzen. Ich will Sie nicht Lügen strafen und ihm doch das Werk zur Aufführung borgen, wenn er folgende 4 Bedingungen eingehen will und kann! 1.) Soll er Ihnen beweisen, daß ihm der Cäcilien-Verein (nicht bloß einzelne Mitglieder) seine Mitwirkung zugesagt hat, 2tens soll er mir Sicherheit geben, daß von der Partitur nicht etwas eine Abschrift gemacht und in die Hände des diebischen Zulehner fin[det,] 3tens solange ich für das Borgen ei[ne] Entschädigung von 6 Louis d’or die ich als ein Beitrag von mir dem dortigen Griechenverein5 bestimme, (da mir nicht erlaubt ist hier etwas zu dem Zweck zu veranstalten[)] und 4tens wünsche ich, daß die Aufführung im Weidenbusche6 stattfinde.
Ich überlasse es nun Ihnen, entweder Guhr die Sache in meinem Nahmen rund abzuschlagen oder ihm diese 4 Bedingungen vorzulegen. – Wegen der Heinefetter sind wir ganz unbesorgt. Da nun zur rechten Zeit aufgekündigt ist, so kann nichts mehr geschehen.



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Speyer an Spohr. Speyers Antwortbrief ist derzeit ebenfalls verschollen.

[1] Vgl. „Dieppe, 14. August”, in: Morgenblatt für gebildete Stände (1826), S. 951f.

[2] Vgl. Spohr an Ludwig Tieck, 24.07.1826.

[3] Vgl. Spohr an Ludwig Robert, 05.09.1826.

[4] [Ergänzung Karl Traugott Goldbach, 12.10.2016: Dieser Brief von Heinrich Joseph Baermann an Spohr ist derzeit verschollen.] Zur Aufführung vgl. „München, im Julius 1826”, in: Abend-Zeitung (1826), S. 788, 792 und 796, hier S. 796

[5] Bereits die zweite Düsseldorfer Aufführung von Die letzten Dinge im Anschluss an das Niederrheinische Musikfest „geschah zum Besten der leidenden Griechen”, also für den griechischen Unabhängigkeitskampf gegen die osamanische Herrschaft (vgl. „Großes Musikfest in Düsseldorf. Im Juni 1826”, in: Didaskalia 21.-25.07.1826, hier 25.07.1826, nicht paginiert). 

[6] Im Haus zum Weidenbusch veranstaltete das Frankfurter Theater zu Ehren von Spohrs Amtsantritt 1817 ein Festessen (Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 49, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 57). Spohr konzertierte dort auch am 24.11.1820 auf der Rückkehr vom Quedlinburger Musikfest (vgl. Lebenserinnerungen, S. 96, Text auch online; Selbstbiographie, S. 112; „Frankfurt am Mayn”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 22 (1820), Sp. 856-863, hier Sp. 859ff.). Für viele Jahre war dieser Saal Ort der Frankfurter Museumskonzerte (vgl. Paul Bartholomäi, Das Frankfurter Museums-Orchester. Zwei Jahrhunderte Musik für Frankfurt, Frankfurt 2002, S. 42).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.02.2016).