Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,97

Cassel den 6ten Juli
26.
 
Geliebter Freund,
 
Vorgestern sind wir, nach einer beynah 5 wöchentlichen Abwesenheit zurückgekehrt und nun bin ich schon wieder mitten im Geschäft. In Braunschweig hörte ich nebst einigen bekannten Opern auch Poißl’s Prinzeß von Provence, die langw[e]iligste und fadeste Oper, die mir in unserer Zeit untergekommen ist. Leider muß ich sie, da einmal die Wahl für des Kurfürsten Geburtstag auf sie gefallen ist und kostbare Vorbereitungen dazu getroffen sind, nun auch einstudiren; bey der Hitze eine doppelt ekelhafte Arbeit! – Faust konnte wegen Mangel der nöthigen Decorationen nicht während meiner Anwesenheit zustande kommen und wird erst Ende dieses Monaths gegeben werden. – In Hannover war bereits die Generalprobe von Faust gewesen, als der Sänger, der den Faust singt, plötzlich erkrankte, die Oper wurde nun von einem Tage zum andern verschoben, bis endlich die Sommerferien begannen, ohne daß der Sänger genaß. Nun soll das Theater nach den Ferien mit Faust wieder eröffnet werden. Man hat mir versichert, sie sei dort vortrefflich einstudirt.
Lindpaintner schreibt mir, Jessonda habe in Stuttgart vortrefflich gefallen, besonders bey der 2ten Aufführung.1 Von andern weiß ich, daß er sich beym Einstudiren große Mühe gegeben hat und daß die Intendanz die Oper reich ausgestattet hat. Er schreibt mir, daß nun auch die Bahn für meine übrigen Opern gebrochen sey und er hoffe bald seine Lieblingsoper Faust in Scene setzen zu können.
In München scheint’s nun mit der Aufführung des Faust endlich Ernst werden zu sollen! –
Obgleich ich wohlthäte, meinen Opern auf einige Jahre Zeit zum Verbreiten zu lassen, bevor ich wieder eine neue schreibe, so hätte ich doch wohl Lust, wenn ich ein recht gutes Buch bekommen könnte, mich nächsten Winter wieder an die Arbeit zu machen. Aber woher ein solches nehmen? Vielleicht fände sich unter den französischen Opern, die nicht nach Deutschland gekommen sind, ja vielleicht selbst unter denen, die in Paris mißfallen haben und dann der Vergessenheit übergeben sind, ein gutes Sujet was ich mir durch Döring könnte bearbeiten lassen? Leider fehlt es mir nur ganz an Gelegenheit diese kennen zu lernen. Vielleicht wissen Sie oder Döring dazu Rath? – Ja, ich bin sogar noch immer der Meinung daß sich aus der, Döring von mir bezeichneten Erzählung „Der Student von Salamanca”2 eine herrliche Oper machen ließe, wenn er den Entwurf auf die, ihm bey meiner vorletzten Anwesenheit, angedeutete Weise umarbeiten wollte. – Sprechen Sie doch einmal gelegentlich mit ihm. Vielleicht kennt er jetzt ein recht wirksames Sujet zu meiner Oper? Romantisch müßte es zwar seyn, aber ohne Zauberei.
Daß von der Aufführung meines Oratoriums in Düsseldorf so wenig in öffentliche Blätter kommt3, ist mir sehr unangenehm, da leider aus der Aufführung in Nordhausen nichts werden wird. Die Veranlassung ist, daß sich niemand findet, der das Risiko übernehmen will. Der Elbverein hat bey der vorjährigen Aufführung in Magdeburg 800 Rth deficit gehabt, die glücklicherweise wegen der Anwesenheit des Königs, die Stadt übernommen hat. Der Magistrat von Nordhausen will aber nichts riskir[en](?) und so unterbleibt die Sache.
In Gandersheim habe ich mit Familie ein Concert für die Abgebrannten in Einbeck4 veranstaltet, was mehr als 100 Rth eingetragen hat. – Nachher machten wir eine fünftägige Harzreise, größtentheils zu Fuß. Selbst mein 70jähriger Vater und Therese schlossen sich nicht daran aus.
Wenn es Ihnen nicht lästig ist, wieder Auslagen für mich zu machn, so bitte ich Sie, der Fr. Elmenreich die 66 fl. auszuzahlen. Das Geld habe ich von Herrn Hamberg zugeschickt erhalten, eben wie mein Br. abgegangen war.
Herzliche Grüße an alle die lieben Ihrigen. Stets Ihr Fr. L. Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 24.05.1826. Speyers nächster Brief an Spohr ist derzeit verschollen.
 
[1] Peter von Lindpaintner an Spohr, 06.06.1826.
 
[2] Washington Irving: „Der Student von Salamanca”, in: ders., Bracebridge-Hall oder die Charaktere, Bd. 1, Berlin 1823, S. 244-370. – Spohr vertonte diesen Stoff später als Der Alchymist (1830).
 
[3] Am 05.07.1826 (und daher Spohr wohl noch nicht bekannt) erschien: „Das Niederrheinische Musikfest, Pfingsten 1826”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 28 (1826), Sp. 440ff. Deutlich nach diesem Brief folgten: D., „Großes niederrheinisches Musikfest. Gefeiert in Düsseldorf den 14. und 15. Mai 1828”, in: Berliner allgemeine musikalische Zeitung 3 (1826), S. 222-225, hier S. 223f.; [Friedrich] Deycks, „Das grosse Niederrheinische Musikfest 1826, in Düsseldorf”, in: Caecilia 5 (1826), S. 61-76, hier S. 63-72; Ds. [vermutlich ders.], „Nachtrag über Spohrs Oratorium Die letzten Dinge”, in: ebd., S. 169-172; „Aus Düsseldorf, im Mai”, in: Zeitung für die elegante Welt 26 (1826), Sp. 1239f., hier Sp. 1239; „Großes Musikfest in Düsseldorf. Im Juni 1826”, in: Didaskalia 21.-25.07.1826, hier 22.07.1826, nicht paginiert und 23.07.1826, nicht paginiert
 
[4] Vgl. Georg Harrys, „Hannover”, in: Gesellschafter 10 (1825), S. 500 und 504, hier S. 500.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (24.02.2016).