Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,91

Sr. Wohlgeb
Herrn Wilhelm Speyer
in
Offenbach a/m


Cassel den 16ten
März 26.

Geliebter Freund,

Ihr Brief hat mich fast erschreckt! Wohl hatte ich bey den Nachrichten über den Umsturz so vieler alter Handelshäuser sogleich an Sie gedacht; da ich aber diese Unglücksfälle als Folge des Papierhandels betrachtete und Sie mir früher sagten, daß Sie keine eigenen Geschäfte darin, sondern nur im Auftrag anderer machten, so hielt ich Ihr Vermögen nicht gefährdet.1 Dem Himmel sey Dank, daß Sie noch mit dem blauen Auge davon gekommen sind! Gefreut habe ich mich, daß Sie durch Ihre Ein- und Umsicht für das allgemeine im Besten haben wirken können. Das muß ein besonderes Gefühl erwecken! –
In meinem Oratorio, welches ich, wie es fertig war, für eine Abendvorstellung noch etwas zu kurz fand, habe ich eine Zwischensymphonie im ernsten Styl geschrieben, die zwischen den beyden Theilen aufgeführt, ein abgeschlossenes Ganze für sich macht. Sie besteht aus 3 Sätzen einem allegro, einem adagio und einem 2ten allegro, die aber zusammenhängen. Nun dauert das Ganze 2 Stunden, mithin lang genug. Die erste Aufführung dieses Oratoriums wird morgen über 8 Tage, am Charfreitage zum besten der Armen in der Luth. Kirche hier stattfinden, die 2te und am 1sten Pfingstage in Düsseldorf und die 3te Anfang September in Nordhausen.
Zu dem Musikfest in Düsseldorf werden Sie, hoffe ich auch kommen und wir dann einige Tage recht vergnügt zusammen seyn. Außerdem hoffen wir aber auch sehr, daß Sie uns diesen Sommer besuchen, da, wie Sie wissen, die Reise an Ihnen ist. Doch, das besprechen wir näher in Düsseldorf.
Über das Oratorium schreibe ich Ihnen [in] 8 Tagen nach der Aufführung. Sie [sind] es schon gewohnt, daß ich mein letzt[es Werk] auch immer für das Beste halte und [werden] sich daher nicht wundern, wenn ich es von diesem auch behaupte; dießmal hat es aber Grund; es gab mir aber auch keine frühere Arbeit Veranlassung zu dem einfach grandiosen Style, den ich, wie ich glaube, in dieser Arbeit vom Anfang bis zu Ende festgehalten habe. Doch mehr davon, wenn ich es mit großem Orchester gehört habe.
Von uns allen die herzlichsten Grüß an die lieben Ihrigen. Mit inniger Freundschaft stets

der Ihrige L. Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Speyer, Wilhelm
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Erwähnte Orte: Düsseldorf
Kassel
Nordhausen
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1826031602

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Speyer an Spohr. Der nächste erhaltene Brief ist Spohr an Speyer, 26.03.1826.

[1] Ende 1825 platzte eine Blase der Spekulation mit südamerikanischen Staatsanleihen (vgl. Werner Plumpe, Wirtschaftskrisen. Geschichte und Gegenwart, München 2010, S. 47f.).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (24.02.2016).