Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, hrsg. v. Cecil Hill (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 27), Bonn 1982, S. 243f.

An
Herrn
Herrn Capellmeister Spohr
Wohlgeb
in
Cassel
 
 
Godesberg 25 Nov. 1825
 
Mein geschätzter Freund!
 
Sie haben wahrscheinlich durch meinen Bruder Hubert gehört, daß ich meinem alten Vater an seinem 70tn Geburtstag eine kleine Fete gegeben habe, wo er all seine Kinder, 10 an der Zahl, welche er in 23 Jahren nie alle zusammen gesehen hatte, bey mir zum Mittag fand, und Sie können sich leicht denken, welchen fröhlichen Tag wir hatten. Und bey dieser Gelegenheit hörte ich auch meinen Bruder wieder, welchen ich1, seit dem er Ihr Schüler war, noch nicht wieder gesehen hatte; wie sehr ich mich freute, und wie sehr ich fühlte, daß er und ich Ihnen ewig dankbar bleiben müssen und werden, können sie sich gewiß selbst denken. Nun ist fast alles schon wieder zerstreüt, Joseph ist schon nach London – Hubert über Leipzig nach Berlin, und der dritte2 geht nächste Woche nach Wien. Ich bleibe nur hier und finde, daß ich mich ein bißchen zu früh in den Ruhestand gesetzt habe – ehemals hatte ich zuviel Musik, und jetzt zu wenig, ich denke also wie möglich dieses auf eine gute Art zu ändern; besonders ohne meinem guten alten Vater etwas Empfindliches zu thuen. Ich kann hier auch nicht ein einziges Instrument außer einer ziemlichen Violine auch nur3 erträglich zu Gehör bekommen, und alles will gereitzt seyn: auch wird die Erziehung meiner4 Kinder bald mehr verlangen, als wie ich ihnen hier geben könnte. Nun wünschte ich gern eine Anstellung an einem Hofe zu haben, damit ich einmal ein Orchestre in die Hände bekäme – und frage bey Ihnen als alter Freund um Rath, wie das wohl am besten zu machen seyn, oder wenn Sie zufällig von5 etwas gutem hören sollten, mich zu bedenken. Sir G. Smart hat mir sehr viel wegen München zugeredet, wegen des verstorbenen Winters Stelle – ich kenne keine Seele dort, doch sollen Sie einen Ihrer besten Schüler dort haben, ist es möglich irgendwo Kundschaft deswegen einzuhohlen, und etwas Näheres deswegen zuhören? Darf ich aus Frendschaft wohl erwarten, daß Sie an H. Mollick, glaube ich heißt er, oder sollten Sie sonst wohl jemand bessern dort haben, ein paar Worte deswegen schreiben wollten?
Geld verschmähe ich nicht, allein Sie wissen, es ist nicht das allein, was ich zu suchen brauche.
Diesen Winter gedenke ich eine Reise nach Holland zu machen, um Holländische Ducaten zu besehen, und von der faulen Haut wegzukommen.
Mein Vater, Frau, die sich Ihnen und lieber Familie bestens empfehlen lassen, nebst Kindern sind ganz wohl – mit Freunden habe ich gehört, daß eine Ihrer Töchter6 Braut ist – obschon sie mich wenig kennt, so hoffe ich, daß ihr mein aufrichtiger Glückwunsch auch willkommen ist.
Ihre neue Oper der Berggeist habe ich von Simrock noch nicht erhalten können – ich bewundre Ihren großen Fleiß, und muß von meiner Frau hören, daß ich ihn zum Beyspiel nehmen soll. Das will ich auch.
Smart hat mir erzählt, Sie hätten England mit ihm gespielt (nehmlich betrunken gemacht) glücklicher weise hörte(???) er das schöne Doppelquartet aber vorher wovon er nicht genug erzählen konnte.7
[Da]ß Sie mir meine Bitte nicht übel nehmen, weiß ich, [und] daß mir ein paar Worte, wenn8 Sie einen müßigen Au[gen]blick haben, herzlich willkommen seyn soll, wissen Sie auch, lieber Freund, von Herzen
 
Ihr
Ferd. Ries

Autor(en): Ries, Ferdinand
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Molique, Bernhard
Ries, Franz Anton
Ries, Franz Joseph
Ries, Hubert
Ries, Joseph
Smart, George
Winter, Peter von
Wolff, Ida
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Der Berggeist
Spohr, Louis : Doppelquartette, op. 65
Erwähnte Orte: Berlin
Leipzig
London
Wien
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <München>
Simrock <Bonn>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1825112543

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Ries an Spohr, 28.10.1823. Dass Spohr diesen Brief beantwortete, ist wegen Ries' Frage nach für ihn geeigneten Stellen wahrscheinlich, lässt sich derzeit jedoch nicht belegen. Der nächste erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Ries an Spohr, Ende Januar 1828.
 
[1] „ich“ über der Zeile eingefügt.
 
[2] Franz Joseph Ries (vgl. Druck, S. 244, Anm. 3).
 
[3] „nur“ über der Zeile eingefügt.
 
[4] Hier gestrichen: „bald“.
 
[5] „von“ über der Zeile eingefügt.
 
[6] Ida, später verh. Wolff (vgl. Spohr an Wilhelm Speyer, 04.09.1825).
 
[7] Vgl. George Smart, Tagebucheintrag 06.11.1825, in: H. Bertram Cox und C.L.E. Cox, Leaves from the Journals of Sir George Smart, London 1907, S. 214ff.
 
[8] „wenn“ über der Zeile eingefügt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (18.07.2019).