Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,87

Cassel den 22sten Oktober
25.

Geliebter Freund!

Die hiesige Direktion hat allerdings Herrn Guhr die Partitur und sämtliche Orchesterstimmen von Iphigenie zu borgen verweigert, weil er Idomeneo und Feodora über ein Jahr behalten und am Ende unfrankirt zurückgeschickt hatte. Wir wollen auch nichts von ihm geborgt haben, daß er aber die Erlaubniß zur Vervollständigung einer Partitur, die er an Feige als vollständig verkauft hat, verweigert, ist über alle Begriffe flegelhaft und ich hätte große Lust ihm den Kopf zu waschen, wenn mich nicht Zeit und Papier dauerten. – Kann Herr Schmidt die Partitur von Joconda aus Darmstadt oder Mainz geborgt erhalten, so bitte ich Sie doch, darum zu schreiben.
Herr Schöne, von dem wir anfangs große Erwartungen hatten, erfüllte leider keine. Nachdem ich ihn 2 mal den Leporello bei Proben im Theater hatte seyn lassen, überzeugte ich mich, es sey nicht zu wagen, ihn in dieser Rolle nach Hauser auftreten zu lassen. Ich gab ihm daher kleinere, aber auch in diesen leistete er so wenig, daß ich ihm auch später keine größere anvertrauen durfte. Im Schauspiel war es eben so; in der ersten, etwas bedeutenderen Rolle blieb er stecken und so überzeugten wir uns, daß es ihm an Talent für’s Theater fehlte. Er würde am besten thun, zur Theologie zurückzukehren, als er, wie mir in Leipzig versichert wurde, etwas tüchtiges gelernt hat. Sein Hauptfehler ist eine grenzenlose Se[lbst]liebe; er hat sich hier bey’m Theaterproben durch seine Kritik verhaßt und lächterlich gemacht! Ihm war weder Wild’s Gesang noch Seidelmann’s Spiel gut genug, an allen hatte er viel auszusetzen! An Lebensart fehlt es ihm auch noch; denn er [ist] fortgegangen, ohne bey mir Abschied zu nehmen.
Haben Sie doch die Güte, den beyligenden Br. an Herrn Döring zu senden1 und ihn mit 40 Rth sächs. oder deren Werth in Gulden zu begleiten. Ich habe ihn für den Fall, daß ich die Oper oft an fremde Theater verkaufen würde, einen Nachtrag zum Honorar für seine Dichtung2 versprochen und will mich dieses Versprechens jetzt entledigen, obgleich das oft noch nicht eingetreten ist. – Das neue Quintett ist unvollendet liegen geblieben, da ich gleich nach der Rückkehr von Leipzig mit Eifer über das Oratorium3 hergefallen bin. Ein Drittheil des Ganzen ist auch bereits im Entwurf fertig und wird jetzt in Partitur gesetzt. – Der Clavierauszug vom Berggeist, das neue Soloquartett, die Duetten und das Potpourri für Geige über Themen aus Jessonda sind sämtlich fertig und werden in diesen Tagen, wenn sie nicht jetzt schon unterwegs sind, von Leipzig versendet. Der Berggeist ist in den ersten 14 Tagen 6 mal, und wie man mir damals schrieb4, mit immer gleichem Beyfall in Leipzig gegeben worden. Heute wird er zum erstenmal wieder hier mit Wild und der Schweizer gegeben und ich erwarte für viele Musikstücke einen ganz andern d.h. bessern Effekt als früher mit der Kiel und Kornett. Unser Orchester giebt die Musik doch auch ein gutes Theil besser als das Leipziger! –
Daß der Berggeist nach London verschrieben ist, habe ich Ihnen wohl schon vermeldet? Macbeth wird nun in Berlin gegeben seyn, wenigstens war er vor Ende des Monaths angesetzt. Ich bin begierig zu hören was die Hexenscenen für einen Eindruck gemacht haben! – Von uns allen die herzlichsten Grüße an die lieben Ihrigen

Stets Ihr tr. Fr. L. Spohr.

Nehmen Sie sich ein Beispiel an diesem langen Briefe! NS. am 23sten. Die Oper ging hier bis auf einige Fehler, die die Schweizer machte, recht gut. Wild sang und spielte vortrefflich. Schmerfeld hat 2 Proben u.d. Aufführung angehört! Er wird Ihnen da Nähere erzählen. Heute ist er wieder abgereist. – Leben Sie wohl.



Dieser Brief ist die Antwort auf Speyer an Spohr, 19.10.1825. Speyers nächster Brief an Spohr ist derzeit verschollen.

[1] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[2] Der Berggeist.

[3] Die letzten Dinge.

[4] Dieser Brief ist noch nicht ermittelt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (23.02.2016).