Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,85
Druck 1: Eduard Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 93 (teilweise)
Druck 2: Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Bd. 2, Tutzing 1968, S. 140, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online (teilweise)

Cassel den 23sten
Sept. 25.

Geliebter Freund,

Gestern Nachmittag sind wir sehr ermüdet, übrigens aber wohlbehalten wieder hier eingetroffen und haben alle die Unsrigen wohl und vergnügt gefunden. Wir wohnten am Dienstage noch der 2ten Vorstellung der Oper bey und setzten uns sogleich Abends 10 Uhr in den Wagen, blieben einige Stunden in Weimar, wohin wir meinen Schwager1 aus Jena beschieden hatten, verweilten nachmals in Gotha um unsere dortigen Verwandte und Freunde zu sehen und fuhren dann auch die zweite Nacht durch. –
Meinen Brief aus Leipzig werden Sie erhalten haben und daher schon wissen, wie günstig die Oper bey der ersten Aufführung aufgenommen wurde. Die 2te war wieder eben so besucht und schien sich gleicher Theilnahme zu erfreuen. Die Aufführung war aber etwas schwankend, weil nun der dortige Musikdirektor eingetreten war ohne vorher eine Probe gemacht zu haben. Mir war es indessen von höchsten Interesse, die Musik von weitem zu hören und ihre Wirkung auf die Zuhörer zu beobachten. Ich suchte mich, so weit es sich thun ließ, in die unbefangene Stimmung der übrigen Zuhörer zu versetzen und mein Werk als ein fremdes anzuhören; sehr oft wurde ich indessen durch das Schwanken der Tempi und einige Fehler der Sänger aus meiner Ruhe aufgeschreckt und dann war es eine Zeitlang um die Unbefangenheit geschehen. Doch habe ich so viel heraus gehört, daß die Introduzion, das Finale des ersten Akts und dann der ganze 3te Akt das beste sind und bey guter [Re]citation und sorgfältiger scenischer Anordnung derselben von großer dramatischer Wirkung seyn müsse. Wie es mir scheint, kann aber diese Oper durch Nachlässigkeit oder bösen Willen noch leichter zu Grunde gerichtet werden wie meine früheren und in dieser Hinsicht sehe ich ihrem Schicksale auf Bühnen, wo ich nicht zugegen seyn kann, nicht ohne Besorgnis entgegen.
Habe ich alle Ursache mit der Aufnahme, die mir in Leipzig als Komponist zu theil geworden ist, zufrieden zu sein, so kann ich es doch noch weit mehr mit der seyn, die mir als Geiger wurde, gewissermaßen ganz gegen meine Erwartung. Zwar hatte ich mich, der vielen Proben und andern Abhaltungen ungeachtet, tüchtig vorbereitet und jeden Tag meines dortigen Aufenthalts durch die Bank zwei Stunden geübt; daß es mir indessen so glücken würde, hatte ich kaum gehofft, da man mich in Leipzig in meiner besten Periode oft gehört hat und die Erwartungen daher sehr hochgespannt waren. Mein neues Violinkonzert hat mich aber über Wasser gehalten und die Leute glauben gemacht, ich geige jetzt besser als je. Der Enthusiasmus steigerte sich von Satz zu Satz so, daß man von allen den kleinen Tuttis im Rondo vor Applaudiren keine Note gehört hat. Ich war für den Abend so im Zuge, daß ich nun auch den Potpourri viel besser als hier zum ersten mal spielte. Emilie hatte zwar viel Angst; da sie aber gleich nach den ersten Tönen hörte, daß ihre Stimme in dem großen Saale sich sehr gut machte, so bekam sie mit jedem Takt mehr Muth und sang besonders die 2te Arie auf ihre Weise sehr vorzüglich. Man munterte Sie bey diesem, ihrem ersten Auftreten in der Fremde durch Beyfall sehr auf. – Der Saal war gedrängt voll und die Einnahmen für Leipzig bedeutend.2
Schlüßlich eine Bitte. Kassiren Sie doch gefälligst beyliegenden Wechsel ein und behalten Sie das Geld (230 Rth Sächsisch) in Verwahrung, bis sich eine schickliche Gelegenheit findet es mir zu übermachen.
Herzliche Grüße an alle die lieben Ihrigen. Mit inniger Freundschaft stets der Ihrige
Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Speyer, Wilhelm
Erwähnte Personen: Scheidler, Carl
Zahn, Emilie
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Der Berggeist
Spohr, Louis : Konzerte, Vl Orch, op. 70
Spohr, Louis : Potpourris [über Themen aus Jessonda], Vl Orch, op. 66
Erwähnte Orte: Gotha
Leipzig
Weimar
Erwähnte Institutionen: Gewandhaus <Leipzig>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1825092302

https://bit.ly/

Spohr



Dieser Brief schließt direkt an Spohr an Speyer, 18.09.1825 an. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 11.10.1825.
Der Druck in Spohrs Lebenserinnerungen ist ein Nachdruck aus der Speyer-Biografie.

[1] Karl Scheidler.

[2] Vgl. „Leipzig”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 27 (1825), Sp. 853-859, hier Sp. 854; [Amadeus] Wendt, „Leipzig, Oktober”, in: Morgenblatt für gebildete Stände (1825), S. 1072 und 1075f., hier S. 1072.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (23.02.2016).

Cassel, 23. September 1825.

... Habe ich alle Ursache mit der Aufnahme, die mir in Leipzig als Komponist zuteil geworden ist, zufrieden zu sein, so kann ich es doch noch weit mehr mit der sein, die mir als Geiger wurde, gewissermaßen ganz gegen meine Erwartung. Zwar hatte ich mich, der vielen Proben und andern Abhaltungen ungeachtet, tüchtig vorbereitet und jeden Tag meines dortigen Aufenthalts durch die Bank zwei Stunden geübt. Daß es mir indessen so glücken würde, hatte ich kaum gehofft, da man mich in Leipzig in meiner besten Periode oft gehört hat und die Erwartungen daher sehr hochgespannt waren. Mein neues Violinkonzert hat mich aber über Wasser gehalten und die Leute glauben gemacht, ich geige jetzt besser als je. Der Enthusiasmus steigerte sich von Satz zu Satz so, daß man von allen den kleinen Tuttis im Rondo vor Applaudieren keine Note gehört hat ...