Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,84
Druck 1: Louis Spohr, Louis Spohr's Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 169 (teilweise)
Druck 2: Eduard Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 92f. (teilweise)
Druck 3: Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Bd. 2, Tutzing 1968, S. 140, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online (teilweise)

Sr. Wohlgeb
Herrn Wilhelm Speyer
in
Offenbach a/m


Leipzig den 18ten
September 25.

Geliebter Freund,

Vorgestern ist der Berggeist hier mit dem allerglänzendsten Erfolg vom Stapel gelaufen. Er war so gut, wie es das hiesige Personal nur erlaubt, besetzt: der Berggeist – Köckert, Alma – Mad. Finck, Oscar – Vetter, Troll – Höfler Ludmille – Mad. Devrient und der Herzog – Gay. Die Solisten und Chöre fand ich bey meiner Ankunft schon sehr gut eingeübt, die Orchesterparthie studirte ich in 4 großen Proben, die ich dirigirte erst noch recht sorgfältig ein. Die Ausstattung war so glänzend, wie man sie nie vorher in Leipzig gesehen hat und einige Dekorationen waren so schön, daß nicht allein die unsrigen in Cassel weit zurückstehen müssen, sondern, daß ich auch nie in meinem Leben etwas ähnliches gesehen habe. Der hiesige Decorationsmaler Gropius ist auf dem Wege der erste der Welt zu werden; ich habe wenigstens weder in Italien noch in Paris oder London etwas so zauberisches gesehen, als die Schlußdecoration des 2ten Akts.
Die Aufnahme, welche die Oper fand, war die schmeichelhafteste, die ich noch erlebt habe. Beim Erscheinen im Orchester wurde ich mit einem wahren Jubelruf empfangen. Die Ouverture und jedes Musikstück, nach welchem sich nur einigermaßen ein Applaudissement einschieben ließ, wurden lebhaft beklatscht. Nach dem Fallen des Vorhangs am Schluß des ersten und 2ten Akts wurde ich mit einem abgesonderten Applaudissement begrüßt für welches ich von meinem Platze aus danken mußte. Beym Schluß der Oper wurde ich gerufen und mit einem 3 maligen Zuruf und einem Tusch von Trompeten und Pauken beehrt. Nachher riefen noch einige Stimmen den Decorateur, andre die vorzüglichsten Sänger; es wurde ihnen aber durch Zischen und Zurufen sogleich Stille geboten weil man mir, wie es schien, die Ehrenbezeichnungen des Abends ausschließlich beehren wollte. Die Aufführung war für eine erste sehr gelungen zu nennen. Außer einem Fehler im Orchester in der Ouverture und einem widerspenstigen Felsen, der nicht aus der Erde herauswollte, passirte nichts fehlerhaftes. Auf dem Theater war fast alles besser, wie in Cassel, besonders der Berggeist und Oscar. Des letzteren Arie im 2ten Akt hat hier erst Effekt gemacht. Am meisten wirkte auf die Zuhörer das Finale des ersten Akts, die Sopranarie des dritten und die Arie des Berggeists wo er die Blumen zählt. Die scenische Anordnung war vortrefflich und von höchster Wirkung, so daß ich mich von neuem überzeugt habe, daß diese Musik von Anfang bis zu Ende echt dramatisch ist Orchester, obgleich es dem unsrigen weit nachsteht, [leistete] doch mehr wie gewöhnlich und so trug all[es dazu bey] das Werk recht lebendig darzustellen.1
Morgen ist nun unser Concert und übermorgen die erste Wiederholung der Oper. Diese werden wir noch ansehen und uns dann sogleich in den Wagen setzen zur Rückreise. – Gleich nach der Messe wird Faust gegeben werden. Auch diese Oper wird, nachdem was ich davon höre, reicher ausgestattet werden wie in Frankfurt und Cassel.
Ich habe nun in der hiesigen M. Zeitung und in der Abendzeitung andern Bühnen angetragen.2 Nach München und Pest ist es bereits verlangt. Können Sie dazu beytragen, daß es auch bald in Frankfurt gegeben werde, so bitte ich darum. Das Honorar für Buch und Partitur habe ich auf 20 Friedrichs d’or festgesetzt. Von meiner Frau und Emilie die herzlichsten Grüße. Mit inniger Liebe stets der Ihrige L. Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf Speyer an Spohr, 13.09.1825. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 23.09.1825.

[1] Die Kritiken sind deutlich zurückhaltender: „Leipzig”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 27 (1825), Sp. 853-859, hier Sp. 854; [Amadeus] Wendt, „Leipzig, Oktober”, in: Morgenblatt für gebildete Stände (1825), S. 1072 und 1075f., hier S. 1072; „Aus Leipzig”, in: Zeitung für die elegante Welt (1825), Sp. 1518ff.; „Leipzig”, in: Gesellschafter (1825), S. 840 und 844, hier S. 840; „Leipzig, September 1825”, in: Hesperus (1825), S. 1064

[2] Allgemeine musikalische Zeitung 27 (1825), Intelligenzblatt Sp. 34.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (23.02.2016).

Vorgestern ist der ,Berggeist’ hier mit dem allergrößten Erfolge vom Stapel gelaufen ... Die Aufführung war so glänzend, wie man nie dergleichen vorher in Leipzig erlebt hat, und einige Dekorationen waren so schön, daß nicht allein die unsrigen in Cassel weit zurückstehen müssen, sondern, daß ich auch nie in meinem Leben etwas Aehnliches gesehen habe. Der Dekorationsmaler Gropius ist auf dem Wege, der erste der Welt zu werden; ich habe weder in Italien noch in Paris oder London etwas so Zauberisches gesehen, als die Schluß-Dekoration des zweiten Aktes. ... Die Aufnahme, welche die Oper fand, war die schmeichelhafteste, die ich noch erlebt habe. ... Die Aufführung war sehr gelungen zu nennen. Außer einem Fehler in der Ouvertüre und einem widerspenstigen Felsen, der nicht aus der Erde herauswollte, passirte nichts Fehlerhaftes. Auf dem Theater war fast alles besser, als in Cassel, besonders der Berggeist (Köckert) und Oscar (Vetter). ... Das Orchester, obgleich es dem unsrigen weit nachsteht, leistete doch Außergewöhnliches.

Leipzig, 18. September 1825.

Vorgestern ist der ,Berggeist’ hier mit dem allerglänzendsten Erfolg vom Stapel gelaufen. Er war so gut, wie es das hiesige Personal nur erlaubt, besetzt ... Die Orchesterpartie studierte ich in vier großen Proben, die ich dirigierte, erst noch recht sorgfältig ein. Die Ausstattung war so glänzend, wie man sie nie vorher in Leipzig gesehen hat und einige Dekorationen waren so schön, daß nicht allein die unsrigen in Cassel weit zurückstehen müssen, sondern, daß ich auch nie in meinem Leben etwas ähnliches gesehen habe. Der hiesige Dekorationsmaler Gropius ist auf dem Wege der erste der Welt zu werden; ich habe wenigstens weder in Italien noch in Paris oder London etwas so Zauberhaftes gesehen, als die Schlußdekoration des zweiten Akts.
Die Aufnahme, welche die Oper fand, war die schmeichelhafteste, die ich noch je erlebt habe. Beim Erscheinen im Orchester wurde ich mit einem wahren Jubelruf empfangen. Die Ouvertüre und jedes Musikstück, nach welchem sich nur einigermaßen ein Applaudissement einschieben ließ, wurden lebhaft beklatscht. Nach dem Fallen des Vorhangs am Schluß des ersten und zweiten Akts, wurde ich mit einem abgesonderten Applaudissement begrüßt, für welches ich von meinem Platze aus danken mußte. Beim Schluß der Oper wurde ich gerufen und mit einem dreimaligen Zuruf und einem Tusch von Trompeten und Pauken beehrt. Nachher riefen noch einige Stimmen den Dekorateur und die vorzüglichsten Sänger; es wurde ihnen aber durch Zischen und Zurufen sogleich Stille geboten, weil man nur mir, wie es schien, die Ehrenbezeichnungen des Abends ausschließlich bewahren wollte ... Die szenische Anordnung war vortrefflich und von höchster Wirkung, so daß ich mich von neuem überzeugt habe, daß diese Musik von Anfang bis zu Ende echt dramatisch ist ...

Vorgestern ist der ,Berggeist’ hier mit dem allergrößten Erfolge vom Stapel gelaufen. Er war so gut, wie es das hiesige Personal nur erlaubt, besetzt ... Die Orchesterpartie studierte ich in vier großen Proben, die ich dirigierte, erst noch recht sorgfältig ein. Die Ausstattung war so glänzend, wie man sie nie vorher in Leipzig gesehen hat und einige Dekorationen waren so schön, daß nicht allein die unsrigen in Cassel weit zurückstehen müssen, sondern, daß ich auch nie in meinem Leben etwas ähnliches gesehen habe. Der Dekorationsmaler Gropius ist auf dem Wege, der erste der Welt zu werden; ich habe weder in Italien noch in Paris oder London etwas so Zauberhaftes gesehen, als die Schluß-Dekoration des zweiten Aktes. Die Aufnahme, welche die Oper fand, war die schmeichelhafteste, die ich noch je erlebt habe. ... Die Aufführung war sehr gelungen zu nennen. Außer einem Fehler in der Ouvertüre und einem widerspenstigen Felsen, der nicht aus der Erde herauswollte, passirte nichts Fehlerhaftes. Auf dem Theater war fast alles besser, als in Kassel, besonders der Berggeist (Köckert) und Oscar (Vetter). ... Das Orchester, obgleich es dem unsrigen weit nachsteht, leistete doch Außergewöhnliches.