Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Ronald Dürre, Louis Spohr und die „Kasseler Schule”. Das pädagogische Wirken des Komponisten, Geigenvirtuosen und Dirigenten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Phil. Diss. Magdeburg 2004, S. 380f.

Madame
Madame Ls Spohr
in Cassel

frey


Hamburg d. 16 Septb. 1825

Madame.

Erlauben Sie daß ich mich in Abwesenheit des Herrn Capellmeisters an Sie wende und meinen Sohn ihrem Schutze anempfehle.
Ich weiß aus längerer Zeit nicht allein von meinem Sohn, sondern auch durch andere, daß die Zöglinge des H. Capellmeisters in dem Bänderschen Hause nicht zum besten von der Mme Bänder behandelt werden; auch daß die kärgliche und wenig nahrhafte Beköstigung nicht von der Art ist, wie man sie für 17 Rth. monatliche Pension erwarten sollte, wozu außerdem gegen frühere Uebereinkunft noch Feuerung und Licht im Winter zugerechnet werden; auch ist ihm ein eigenes Zimmer und Bette versprochen worden, daß erstere ist aber ein Durchgangszimmer wo der Knabe jeden Augenblick in seinem Studium gestört, und das Bette, muß er mit einem andern theilen. Wie gefährlich dieses letztere für junge Menschen ist, wird einem jeden einleuchten.
Wenn die Schüler Beschwerden führen, so wird mit Ausziehen oder es dem Herrn Capellmstr. zu sagen, gedroht. - Das ganze muß indessen doch wohl so arg geworden seyn, daß es nicht mehr auszuhalten gewesen ist, weil mein Sohn den 30 d. Monats das Bändersche Haus verlassen und eine andere Wohnung beziehen will. Ich glaube nicht, daß er Schuld hat, denn einfach erzogen, und eine frugale Mahlzeit gewohnt, wird er so leicht nicht1 klagen, auch seine sittliche und höfliche Aufführung kann ihm nichts zur Last legen, er müßte sich denn seit seiner Rückkehr sehr geändert haben. Ich habe indessen seinen Entschluß des Ausziehens in einem Briefe an Herrn Bänder am 13 dieses genehmigt, und die Sache ist zu weit gediehen, als daß er ferner im Bänderschen Hause bleiben könne, er würde sich nun vielen Unannehmlichkeiten ausgesetzt sehen. Er spricht mit Achtung von Herrn Bänder, es scheint daher, daß lediglich Madame Bänder die Ursache der Zwistigkeiten ist.
Gestern erhielt ich einen Brief von derselben, worüber sie ein langes und breites über meinen Sohn sprach, seine Eigenschaften lobte, ihn blos der Leichtgläubigkeit beschuldigt, nd daß er sich von anderen verführen ließe, besonders beschuldigt sie einen jungen Menschen Namens Poseke und Ferdinand David; indessen leuchtete aus dem ganzen Brief hervor, daß sie den Fritz zu behalten wünsche. Sie schloß mit folgenden Worten. Wir haben nichts im mindesten gegen Fritz, sollte aber die Zukunft nicht nach Wunsch ausfallen, so legen Sie es uns nicht zur Last, denn Herr Capellmstr. verlässt sich auf meinen Mann in allem. Sie will damit sagen, daß der Hr. Capellmstr. bei seiner Rückkunft ihm entweder nicht mehr Unterricht ertheilet, oder aber in der Folge wenn irgend eine Stelle in einer Capelle offen sey, ihm nicht dazu behilflich seye. Mein Sohn sowie alle Schüler haben für den H. Capellmstr die größte Ehrerbietung und Liebe. Und es sollte mich schmerzen, wenn er unschuldigerweise die Liebe seines braven Lehrers verlieren sollte. Sie sind Mutter, Madame, und diese nehme ich in Anspruch, und bitte Sie die Güte zu haben, meinen Sohn zu rufen, und sich das ganze von ihm erzählen lassen. Fr wird offener und dreister gegen Sie seyn, als er es vielleicht aus Ehrfurcht gegen den Herrn Capellmstr ist. Finden Sie ihn unschuldig, wie ich nicht anders zweifele, so wollen Sie gütigst dem Herrn Capellmstr. diese Sache in seinem wahren Lichte vorstellen, und ihn bitten den Knaben nicht zu verlaßen, und ihn zu seinem weiteren Fortkommn behelflich zu seyn. Ich habe große Aufopferungen und über meine finanziellen Kräfte gemacht, sollte des Knaben Glück durch Verleumdung gestört werden? Hamburg ist wahrlich nicht der Ort, worin ein Künstler fortkommen kann, er muß daher anderwärts sein Brot suchen und hierzu bedarf Fritz das Wohlwollen und die Liebe seines würdigen Lehrers.
Meine Frau, die sehr nervenschwach ist, weis bis jezt von dieser unangenehmen Sache noch nichts, ich habe weder den Brief meines Sohnes noch den der Madame Bänder mitgetheilt, es würde ihr sehr angreifen und vielleicht noch kränker machen. Sie werden daher entschuldigen, wenn ich statt ihrer, Ihre mütterliche [Lie]be in Anspruch nehme. Ich bin im voraus überzeugt, daß Sie meinen Wünschen Gehör geben und habe die Ehre mit besonderer Hochachtung zu seyn, Madame

Ihr ganz gehorsamer Diener
Ls Pacius.

Dürfte hiwohl bitten Einlage an Fritz wenn er zur Stunde komt, abgeben zu laßen, den Brief aber nicht nach dem Bänderschen Hause zu schicken.

Autor(en): Pacius, Louis
Adressat(en): Spohr, Dorette
Erwähnte Personen: Bänder (Frau von Conrad Bänder)
Bänder, Conrad
David, Ferdinand
Poseke
Spohr, Louis
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Hamburg
Kassel
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1825091640

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Louis Spohr an Pacius, 16.11.1824. Louis Spohr beantwortete diesen Brief am 27.09.1825.

[1] „nicht“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.09.2017).