Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,233
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 91f. (teilweise)

Offenbach am 22 August 1825.

Theuerster Freund!

Sogleich nach Empfang Ihres Briefes vom 3. d. schrieb ich an Vauchel, erhielt aber erst vor einigen Tagen beiligende Antwort. – Die Einlagen von Rochlitz (welche einliegend erfolgen) haben mir unendliche Freude gemacht; wenn Sie mit Liebe und Unbefangenheit an dieses Werk1 gehen, so muß gewiß etwas Großes entstehen. Indessen ist es ein schwieriges Unternehmen, wenn man bedenkt, daß Sie nun den Opern-Rock, der Ihnen so knapp und bequem saß mit einem geistlichen Habit vertauschen müssen. Um von einem inneren Zustande zu einem anderen überzugehen, bedarf es gewisser Vorbereitungen, um so mehr hier, da Sie durch täglich wiederkehrende Anklänge in dem Kreiß der dramatischen Musik festgehalten werden. Lektüre der besten klassischen Meister möchte würdige Vorbereitung des Unternehmens sein. – Vor einigen Tagen war ich Ihnen 12 Stunden näher. – André bat mich, bei der in Gießen aufzuführenden Messe die Violin Soli zu übernehmen und so ging ich mit Dr. Börne, Gervinus und Springsfeld dahin.2 Ueber die Aufführung wird Ihnen Herr Herold von Kassel, dessen Bekanntschaft ich machte das nähere sagen. – Im Ganzen haben wir uns sehr belustigt. – Zwischen Friedberg und Butzbach traf ich Wild, der mir in der Kürze sagte, daß er sich in Kassel sehr glücklich fühle, und hoffe, immer dort zu bleiben. Zu meinem Bedauern hörte ich, daß Albert weg gehen wird und das Engagement der Schweitzer nicht zu Stande gekommen ist. – Wild ist bereits in Joseph aufgetreten, und heute sollte sein Benefice sein, allein es zeigte sich daß die Stimmen im Barbier mit der Kasseler Rolle (die er einstudirte) nicht übereinkommen, und so ist es aufgeschoben. – Können Sie Ihre Opern noch nicht besetzen? und haben Sie keine Aussicht eine tüchtige Sängerin zu bekommen? Mit Verlangen sehe ich Ihren Nachrichten entgegen, wegen dem Berggeist & Faust in Leipzig und bitte recht bald darum.
Wir alle grüßen die Ihrigen mit bekannten Gesinnungen und ich umarme Sie

von Ihrem WmSp.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Speyer, 03.08.1825. Spohr beantwortete diesen Brief am 04.09.1825.

[1] Die letzten Dinge.

[2] Vgl. L.W., „Gießen, am 19. August 1825”, in: Abend-Zeitung (1825), S. 928 und 932.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (23.02.2016).

Offenbach, 22. August 1825.

... Die Einlagen von Rochlitz (welche einliegend zurückerfolgen) haben mir unendliche Freude gemacht. Wenn Sie mit Liebe und Unbefangenheit an dieses Werk gehen, so muß gewiß etwas Großes entstehen. Indessen ist es ein schwieriges Unternehmen, wenn man bedenkt, daß Sie nun den Opernrock, der Ihnen so knapp und bequem saß, mit einem geistlichen Habit vertauschen müssen. Um von einem inneren Zustande zu einem anderen überzugehen, bedarf es gewisser Vorbereitungen, um so mehr hier, da Sie durch täglich wiederkehrende Anklänge in dem Kreis der dramatischen Musik festgehalten werden. Lektüre der besten klassischen Meister möchte würdige Vorbereitung für das Unternehmen sein ...
André bat mich bei seiner in Gießen aufzuführenden Messe die Violinsoli zu übernehmen und so ging ich mit Dr. Börne, Gervinus und anderen dahin. Über die Aufführung wird Ihnen Herr Herold in Cassel das nähere mitteilen. Im Ganzen haben wir uns sehr belustigt.