Autograf: Historisches Archiv des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, Sign. Autographen K. 27
Druck: Louis Spohr, Die letzten Dinge, hrsg. v. Irene Schallhorn und Dieter Zeh, Stuttgart 2008, S. XII
[Beleg 1?: Verzeichniss einer ausgezeichneten Sammlung von Autographen sowie einer Auswahl von Autographen-Albums, autographischen Seltenheiten, Autographen- und Geschenk-Literatur (= Katalog Schulz 3), Leipzig 1862, S. 10]
[Beleg 2: „Vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Auszug aus dem 48. Jahresbericht“, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel und die verwandten Geschäftszweige (1902), Nr. 63, S. 2389]

Cassel den 9ten Juli
25.
 
Wohlgeborner,
Hochgeehrter Herr Hofrath,
 
Der mir in Ihrem geehrten Schreiben gütigst gemachte Antrag, ein, von Ihnen gedichtetes Oratorium in Musik zu setzen, hat mich auf das angenehmste überrascht und erfreut. Denn längst hatte ich, angeregt durch tieferes Eingehn in den Geist Händel'scher und alt-italiänischer Musik (die ich in unserm, von mir vor 3 Jahren gestifteten Gesang-Verein fast ausschließlich singen lasse,) den Vorsatz gefaßt, ein Oratorium in einem einfach ernsten Styl zu schreiben und nur der Mangel eines guten Textes hielt mich bisher davon ab. Da ich nun1 überdieß seit Vollendung meiner letzten Oper2 von keiner Arbeit mehr gedrängt bin, die mich hindern könnte, mich in die, zu einem so ernsten Werke, nöthige Stimmung zu versetzen, so kömmt mir Ihr gütiges Anerbieten äußerst gelegen und ich nehme es mit dem wärmsten Danke an und versuche Sie um baldgefällige Mittheilung der Dichtung. – Mitte September werde ich sehr wahrscheinlich selbst nach Leipzig kommen, um die erste Aufführung meiner neuen Oper zu leiten. Bis dahin habe ich mich dann bereits in den Geist der Dichtung hinneingedacht, mein Plan für die musikalische Bearbeitung entworfen und kann mich mit Ihnen darüber besprechen und mich Ihres Raths erfreuen.
Es scheint mir, als würde ich für diese Arbeit erst noch einen besonderen, aus altem und neuem gemischtem Styl, mir schaffen müssen; denn bey aller Vorliebe für alte, besonders Händel'sche Musik kann ich doch auch nicht verhehlen, daß die neuern nach höherers leisten könne und wirklich geleistet habe, wie denn (um nur gleich das Beste anzuführen) in allen, mir bis jetzt bekanntgewordenen Werken älterer Zeit doch nichts3 so reich an Musik und zugleich so erhaben und ächt kirchlich mir4 zu seyn dünkt als einzelne Sätze des Mozart'schen Requiems, vornehmlich gleich der Anfang bis zur Fuge, das Recordare und einiger andre, was ich nicht gleich zu bezeichnen weiß.
Was Sie mir über die Form der Dichtung mittheilen, läßt mich wünschen, daß das Oratorium aus zwei Theilen bestehen und so lang seyn mögte, daß die Musik zwei Stunden dauern könnte; ferner, daß es nicht ganz der einstimmigen Solis (wenn auch nicht in Form von Arien) entbehren mögte, die Chöre und mehrstimmige Gesangstücke in gar zu großer Menge gar zu leicht ermüden, wie man das z.B. beym Anhören des Schneider'schen Weltgerichts empfindet.
Sehr begierig bin ich zu sehn, ob der Text Ihres Oratoriums auch, wie bey den alten, namentlich Händel'schen Werken, für häufige Wortwiederholungen eingerichtet ist. So bequem diese dem Komponisten für musikalische Form und thematische Bearbeitung auch sind, so bin ich doch noch in Zweifel, ob sie in aesthetischer Hinsicht zu billigen sind. Bey dramatischer Musik wenigstens sind sie, wenige Fälle abgerechnet, sicher verwerflich, weshalb ich sie auch in meinen letzten Opern fast ganz vermieden habe. Ich bin nun gespannt, Ihre Meynung zu hören und mich durch sie belehren zu lassen.
Sie bemerkten bereits in Ihrem Schreiben, daß bey einer Arbeit, wie die, in Rede stehende, wenig auf pecuniären Gewinn zu rechnen sey; müßte ich daher jetzt bey meinen Arbeiten zuerst an Gewinn denken, so dürfte ich sie vielleicht nicht einmal unternehmen! Demohngeachtet hoffe ich, daß das Werk, wenn es bey seinem Erscheinen einige Aufmerksamkeit erregt, uns auch auf die eine oder andere Weise etwas eintragen werde.
Indem ich nun einer bald gefälligen Übersendung des Manuscripts entgegen sehe und nochmals für das gütige Interesse, welches sie durch Ihren Antrag mir bewiesen haben, mich dankbar verpflichtet erkläre, habe ich die Ehre mich mit vollkommenster Hochachtung zu nennen
 
Ew. Wohlgeb.
ergebenster Diener
L. Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Rochlitz, Friedrich
Erwähnte Personen: Händel, Georg Friedrich
Erwähnte Kompositionen: Mozart, Wolfgang Amadeus : Requiem
Schneider, Friedrich : Das Weltgericht
Spohr, Louis : Der Berggeist
Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Erwähnte Orte: Kassel
Leipzig
Erwähnte Institutionen: Cäcilienverein <Kassel>
Stadttheater <Leipzig>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1825070906

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Rochlitz an Spohr, 02.07.1825. Rochlitz beantwortete diesen Brief am 18.07.1825.
 
[1] „nun” über der Zeile eingefügt.
 
[2] Der Berggeist.
 
[3] Hier ein Wort unleserlich gestrichen.
 
[4] „mir” über der Zeile eingefügt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.07.2016).