Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Wohlgeborner Herr!
Hochgeehrter Herr Kapellmeister!
Der von Euer Wohlgeboren erhaltene gütigen Erlaubniß zu folge, nehme ich mir die Freyheit denenselben in der Anlage, Buch und Partitur meiner Oper: „Zur guten Stunde, oder die Edelknaben“ zu übersenden und ersuche Sie, verehrter Herr Kapellmeister, bey deren Beurtheilung nicht den Maaßstab derTrefflichkeit Ihrer eigenen Werke anzulegen, sondern nur eine leichte, gefällige Musik zu erwarten1 die bey einem guten Vortrag und bey einer lebendigen, gerundeten rasch ineinandergreifenden Darstellung nicht ohne Wirkung ist.2 Hier wenigstens hat man, trotz aller von einer gewißen Seite angewendeten Mühe sie fallen zu laßen, sie bey deren bis jetzt stattgefundenen 3 Vorstellungen, mit gleichem, lebhaften Beyfall aufgenommen. Ohne den vorigjährigen Urlaub und die darauf folgende immer noch fortwährende Unpäßlichkeit der Madam Seidler, verbunden mit dem Abgang der Demoiselle Johanna Eunike wodurch die beyden Hauptpartien, des Emil und Theodor unbesetzt waren, wäre auch dem festen Wollen der General-Intendantur und General-Musikdirektion gemäß, die Oper ununterbrochen auf dem Repertoire geblieben. Sehr glücklich werde ich mich schätzen wenn Euer Wohlgeboren sie werth erachteten auf Ihrer Bühne zu erscheinen, wenigstens sollte ich glauben daß Demoiselle Roland in der Rolle des Theodor ein nicht imwillkommene Gelegenheit finden würde ihr schönes Talent geltend zu machen. Ich übersende Euer Wohlgeboren eine Original-Partitur, weil ich glaube daß es Ihnen angenehm seyn wird im Fall der Annahme die Abschrift in Cassel nehmen zu laßen da bey uns in Berlin die Kopialien sehr teuer sind; nur erbitte ich mir solche nebst dem Buch nach 4 Wochen wieder zurück da ich Beydes Herrn Hofrath Küstner in Leipzig für den Monat Juli zugesagt habe. Die Bestimmung des Honorars lege ich in Euer Wohlgeboren Hände, nicht wißend ob bey dem Churfürstlichen Hoftheater eine feste Norm in dieser Beziehung angenommen ist. Mein neuestes Singspiel: „Singthée und Liedertafel“ ist vom großen Theil des Publikums sehr gütig aufgenommen worden, hat ungemein belustigt und der Direktion 3 volle Häuser gemacht.3
Bey den seit 3 Wochen ununterbrochen fortgesetzten Proben der Oper Alcidor von Herrn Spontini liegt Alles was nur irgend einer Probe bedarf, so auch das Singspiel in welchem dem Wunsch der General Intendantur gemäß zwei Rollen neu besetzt wurden. Sobald es im nächsten Monat wieder gegeben seyn wird kann ich Euer Whlgeboren die Partitur nebst dem Buch gleichfalls zur gefälligen Durchsicht und Beurtheilung einsenden. Leider hatten wir seit Ihrer Abreise nur zweimal die Freude Ihre herrliche Oper: Jessonda, wiederholen zu hören: sie war mit gleichem enthusiastischen Beyfall vom Publikum aufgenommen und Sie würden gewiß mit der Darstellung zufrieden gewesen seyn, denn von allen Seiten war das Streben unverkennbar nicht hinter der ersten von Ihrer Meisterhand geleiteten Aufführung zurückzubleiben.4 Möchte uns doch recht bald der hohe Genuß werden auch Ihr neuestes Werk5 zu hören, vielleicht könnten Sie selbiges nun bald dem Königstädtischen Theater anvertrauen, deßen Oper sich durch die Engagements der Demoiselle Sonntag, des Herrn Jäger und Wächter aus Wien p.p. sehr heben und nun auch von dieser Seite der königlichen Bühne bedeutenden Nachtheil zufügen dürfte.
Madame Seidler kann sich noch immer nicht recht erholen u. mußte nachdem sie die beyden Wiederholungen der Jessonda sehr angegriffen hatten und ein Rückfall Ihres Übels erfolgte, die Rolle aus der Spontinischen Oper Alcidor an Madame Schulze abgegeben. Montag den 23t d. M. als am 2t Pfingstfeiertag wird endlich das lang besprochene und erwartete Werk zur Schau ausgestellt und bis zum 15t Juni möglichst oft wiederholt werden. Tags darauf den 16t nächsten Monats reiset H. Spontini nach Paris und wir vor der Hand 9 Monate abwesend bleiben. Auch die Damen Milder und Schulze benutzen ihren Urlaub zu einer Reise in die französische Hauptstadt, wo sie ihr Heil in der italienischen Oper versuchen wollen. Genehmigen Sie schließlich, verehrter Herr Kapellmeister, die Versicherung unbegrenzter Hochachtung mit der ich verharre,
Euer Wohlgeboren
ganz ergebenster Dieer
Freyherr von Lichtenstein.
Berlin, Leipziger Straße am Dönhofsplatz
No 59. den 15ten May 1825.
Autor(en): | Lichtenstein, Carl August von |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Eunike, Johanna Jäger, Franz Küstner, Karl Theodor von Milder-Hauptmann, Anna Schulze, Josephine Seidler-Wranitzky, Caroline Sontag, Henriette Wächter (Bass) |
Erwähnte Kompositionen: | Lichtenstein, Carl August : Singtee und Liedertafel Lichtenstein, Carl August : Zur guten Stunde Spontini, Gaspare : Alcidor |
Erwähnte Orte: | Berlin |
Erwähnte Institutionen: | Hoftheater <Kassel> Königliche Schauspiele <Berlin> Königstädter Theater <Berlin> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1825051545 |
Spohrs Antwortbrief vom 30.05.1825 ist derzeit verschollen.
[1] „zu erwarten“ über der Zeile eingefügt.
[2] Vgl. „Berlin. Uebersicht des May“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 25 (1823), Sp. 417-420, hier Sp. 418; „Aus Berlin, den 6. Juni“, in: Zeitung für die elegante Welt (1823), Sp. 1022f., 1031 und 1039f., hier Sp. 1039f.
[3] Vgl. K., „Berlin den 25. März“, in: Berliner allgemeine musikalische Zeitung 2 (1825), S. 101; -r-m-s, „Berlin den 7. April 1825 (Eingesandt.)“, in: ebd., S. 117f.
[4] Vgl. „Berlin den 19. April“, in: ebd., S. 136.
[5] Der Berggeist.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.03.2024).