Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,228

Herrn
Kapellmeister Louis Spohr
Wohlgeborn
Cassel
in Hessen.


Offenbach am 4 Februar 1825.

Theuerster Freund!

Entschuldigen Sie daß ich den Empfang des meiner Frau seiner Zeit übersandten Wechsels von f 212.45 nicht berichtete. – Mit Leidwesen bemerke ich den Verlust den Ihre Bühne durch den Abgang Hausers und das nicht zustande gekommene Engagement der Devrient erlitten; um so mehr wundert es mich, daß Sie auf Wild nicht reflectiren, der die erste Zierde einer jeden Bühne sein wird und und gewiß in Kurzem ein Engagement finden muß. Ohnedieß scheint Gerstäcker nicht mehr auftreten zu können, und äußerst schwer muß es Ihnen fallen, einen würdigen Tenor zu finden. – Ihre Einladung während der dortigen Festlichkeiten nach Cassel zu kommen erkenne ich mit dem lebhaftesten Danke. Nicht sowohl die Festlichkeiten als vielmehr Ihre neue Oper könnten mich bestimmen, derselben Folge zu leisten. Allein in meinen Verhältnissen kann ich nicht im Voraus über meine Abwesenheit von hier disponiren; ist es mir nur irgend möglich, so komme ich. Ohne Zweifel sind die beiden letzten Akte der Oper in Werth dem ersten gleich vielleicht noch überlegen. So muß der Berggeist Ihren musikalischen Ruhm auf die verdiente Höhe bringen. Ich fürchte die reiche Scenerie wird die Aufführung andrer Theater erschweren. Glauben Sie daß solche in Ffurt statt finden wird? – Daß Sie nicht nach Berlin gehen werden, war mir gewiß, allein Sie sagen mir nicht, ob Sie an Spontini der Besetzung der Jessonda wegen geschrieben haben, indem früher die Oper dort nicht gegeben werden kann. – Haben Sie Hoffnung an Hauser’s Stelle jemand zu erhalten? Kein besserer Faust wird nicht geboren! Diese Oper ist nun hier zur förmlichen Lieblingsoper geworden. Man gehet par excellence hin, und es ist Ton, sie nicht auszusetzen; auch wird sie alle 14 Tage einmal gegeben. Nicht so Jessonda. Guhr scheint dieser jungen Witwe, welche sich nicht verbrennen lassen will, keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Es geschieht dieses wahrscheinlich aus Zartgefühl, indem er diese Verletzung ehelicher Treue auf dem Theater nicht liebt. Er läßt sich deshalb seine besondere Vorliebe für die Euryanthe erklären, da hier kein eheliches Pflichtgefühl gestört wird, und die treulose Eglatine (die Rotthammer wird wie man sagt in Kurzem die Bühne verlassen um dem Hause eines Gesandten vorzustehen) ihren verdienten Lohn erhält. Andern, welche sich in [???] Behauptungen gefallen, meinen, Guhr liebe diese Oper vorzugsweise, weil er die Legende der heiligen Genoveva in dem 3ten Akt erkennt, und noch ganz besonders deswegen, weil die Schlange, die im ersten Akt der Schöpfung der Sünde Fluch auf sich und das erste Menschenpaar geladen, im 3ten Akt der Euryanthe, durch ihren herrischen Todt die Vermittlerin der gekränkten Liebe wird, und die Menschheit mit sich versühnt. – Ich begreife jedoch nicht, warum ihn die Schlange so sehr interessirt!
Die Meinigen erwidern Ihre Grüße und lassen sich den Ihrigen auf’s Herzlichste empfehlen. Mit gewohnten Gesinnungen

Ihr WmSpeyer.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Speyer, 24.01.1825. Spohr beantwortete diesen Brief am 20.02.1825.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.02.2016).