Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Wohlgebohren Herrn
Capell-Meister L. Spohr
in
Cassel

frey1


Hamburg d. 22t Decemb. 24

Sehr werther Herr Capell Meister

Sie werden entschuldigen daß ich mir die Freiheit nehme an Sie zu schreiben. Ich habe mich der Musik gewidmet und spiele die Geige. ich war zu diesem Behuf ein und ein halbes Jahr in Berlin wo ich von mehren Kaufleuten sehr würdigen Männern unterstützt wurde, und wo ich den Unterricht des Herrn Musik-Direktors Henning mich erfreuen durfte. Die Zeit verging ich konnte und durfte nicht länger unterstützt werden weil ich es doch während der Zeit zu einem kleinen Grade in der Junst gebracht hatte und durch Unterricht ertheilen ich mir wohl mein nothwendigstes hätte verdienen können. Da ich es aber wohl merke, daß ich die Unterweisung eines Mannes wie Sie noch sehr nöthig habe an wen konnte ich mich wohl beser2 wenden als an Sie? da es mein Wunsch unter Ihrer studiren zu können. Durch Herrn Lindenau und David aufgemuntert3, welche mir so viel von Ihrer außerordentlichen Güte mittheilten, nehme ich mir hiemit die Freiheit an Sie zu schreiben, und mein einziger Wunsch ist bey Ihnen erhörung zu finden. Sollte ich so glücklich seyn diese zu finden so thuen Sie ein doppelt schönes Werk einer alten armen Mutter deren einzige Stütze ich bin bereiten Sie auf ihren alten Tagen ein sorgenloses Alter, indem ich kann es Ihnen nicht sagen wie glücklich Sie mich machen würden, denn ich stehe jetzt gar allein4 weder Vater noch Anverwandte da die sich meiner annehmen konnten. 17 Jahr alt; gewiß Sie werden meinen Wunsch billigen. Um Ihnen Bürge für mein musikalisches Talent, welches aber unter einer Leitung wie die Ihrige, bey anhaltenden Fleiß und Ausdauer welches ich Ihnen hiermit verspreche, wenn ich so glücklich wäre unter Ihrer Leitung zu studiren gewiß nicht unbedeutend bleibe, so kann ich wenn Sie es sonst wünschen einige Atteste von Herrn Prof. Zelter u. Mus.Dir. Henning Ihnen beischicken. Ich denke zu meinem Unterhalt in Cassel einigen Unterricht zu geben, und wenn ich nur eben das allernothwendigste hätte mich aber Ihrer Leitung erfreuen dürfe wäre ich vollkommen zufrieden ja ich wäre glücklich. Ich war so frey Ihnen meine Lage und meinen einzigen Wunsch zu schreiben und erwarte recht balde wenn es Ihnen möglich Entscheidung über mein Schicksal

und verharre ganz ergebenst
Ferdinand Rahles.

Meine Adresse ist
1ste Peterstraße No 187

Autor(en): Rahles, Ferdinand
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: David, Ferdinand
Henning, Carl Wilhelm
Lindenau, Leopold
Zelter, Carl Friedrich
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1824122244

Spohr



Spohrs Antwortbrief vom 30.12.1824 ist derzeit verschollen.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts unten der Poststempel „HAMBURG / [???] / 22 Dec“, auf der Rückseite des zusammengefalteten Briefumschlags befindet sich der Stempel „26DEC[1824]“.

[2] Sic!

[3] Leopold Lindenau und Ferdinand David studierten kurz zuvor bei Spohr in Kassel (vgl. „Verzeichniss der Schüler von Louis Spohr”, in: Niederrheinische Musik-Zeitung 7 (1859), S. 150ff., hier S. 150).

[4] „allein“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (09.08.2022).