Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr Wohlgeb.
dem Herrn Kapellmeister Louis
Spohr
in
Cassel

franco1


Meiningen, d. 17 Sept. 24.

Lieber Herr Kapellmeister,

Mein Herz sehnt sich nach einer schriftlichen Unterhaltung mit Ihnen, u. diesem Zuge will ich folgen, obgleich ich auch nicht eine einzige gute Feder finde, u. mein Federmeßer mir gestern mein junger Prell nach seinem Hause genommen ist. – Für’s Erste drängt sich mir die Frage auf, ob Sie recht wohl sind, dann wüßt ich gern, wie es Ihrer Frau Gemahlin und ihren Töchtern geht, dann wie es mit Ihrem Berggeist steht? – Uch glaube Ihnen noch nicht gesagt zu haben, daß mein Bruder Wilhelm eine Oper gleichen Nahmens in Arbeit hat, wovon die Dichtung von einem jungen sehr talentvollen Dilettanten ist, der in Hamburg auf einem Comptoir ist. – Es ist jetzt bald ein halbes Jahr, daß Sie die Dichtung bekamen, gewiß sind Sie schon recht weit vorgerückt, da Sie einen gar nicht zu ermüdenden Fleiß haben; – ich bin neugierig auf die Aehnlichkeit der beyden Sujets, so viel weiß ich von meines Bruders Sujet, daß ebenfalls darin gleich Ihrem ein förmliches Bergwerksleben enthalten ist. – Mein Arm ist viel stärker geworden, so daß ich jetzt 3 Stunden hinter einander spielen kann, ich bleibe deswegen im hiesigen Dienst; wegen Ries ist es mir einerseits unangenehm, so sehe ich dem Schicksal sonst dafür dankbar seyn muß; ich fürchte, Ries war zu rasch u. gab auf die bloße Anfrage, ob er wohl Neigung habe zu2 der hiesigen Stelle, besonders nach Empfang eines Briefs von Ihnen3, sein Engagement augenblicklich auf; gleich drauf erhielt er wieder einen Brief von mir, der hoffentlich seine allzu große Raschheit4 unschädlich gemacht haben wird. – Der Herzog ist diesen Augenblick in England, u. wird wahrscheinlich mit der Prinzeßin Teodore von Leiningen, Tochter der Herzogin von Kent zurückkommen; bis dahin ruhen hier alle Konzerte, – öfters mach ich aber Quartett in meinem Logis, diese letztere 14 Tage war es regelmäßig jeden Morgen von 10 bis 1 Uhr. Sie u. Beethoven waren die ärgsten Schweißbeförderer und Sie werden deswegen einmal schwer Verantwortung auf sich laden5! – Von Ihren neuesten Kompositionen hab ich außer der Ouverture zu Jessonda, die wir wenigstens 25 Mal gemacht haben, noch nichts in Stich gesehen, Ihren Potpourri aus Jessonda für Violine hörte ich von Bärwolff spielen, zum Glück war aber meine Einbildungskraft schöner als sein Spiel. – Wenn Sie mir doch Irgend Etwas von Ihren Kompositionen zuschicken wolten? Etwa das Doppelquartett, das ich noch nie6 gehört habe? – Der Herzog ist von Ihren eifrigsten Verehrern, und würde daran eine gränzenlose Freude haben. – Nicht wahr, Sie schicken mir Ihre Partitur, od. Ihre Stimmen unfrankirt, ich laß sie von einem treuen Menschen abschreiben und schicke Ihnen das Ihrige frankirt zurück. – Oder, wenn Sie dieß nicht geben möchten, den Violoncell u. Violin Potpourri; – mit meinen Kompositionen ist Ihnen kein Gefallen geschehen, sonst schickte ich Ihnen gleich einen ganzen Koffer voll. – Ihr A dur Konzert hab ich vor 4 Wochen in Liebenstein im Theater gespielt, die Größe des Styls des ersten Satzes hat mich besonders ergriffen. ist der Adagio nicht aus dem frühen Konzert, das ebenfalls im 6/8 Takt u. in A ist, genommen? er schien mir bekannt7; – In der Hoffnung Ihres vollkommenen Wohlseyns u. des ungetrübtesten Lebensglückes sagt Ihnen Ihr Sie innig liebender u. verehrender Eduard Grund ein herzliches Lebewohl. – Viele Grüße Ihrer Familie.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Grund an Spohr, 21.07.1824. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Grund an Spohr, 03.05.1825.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „MEININGEN / 18 SEPT 182[4}, auf der Rückseite des zusammengefalteten Briefumschlags befindet sich der Stempel „20SEPT1824“.

[2] „zu“ über der Zeile eingefügt.

[3] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[4] Hier gestrichen: „wieder“.

[5] „auf sich laden“ über gestrichenem „zu geben haben“ eingefügt.

[6] „nie“ über der Zeile eingefügt.

[7] Nachdem Spohr für sein Violinkonzert op. 62 mit mehreren anderen Mittel-Sätzen experimentierte, übernahm er für den Druck schließlich das Adagio aus dem ungedruckten Konzert WoO 12 (vgl. Folker Göthel, Thematisch-bibliographisches Verzeichnis der Werke von Louis Spohr, Tutzing 1981, S. 110 und 276).


Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.12.2022).