Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Herrn
Herrn Kurfürstl.-Hessischem
Kapellmeister L. Spohr
Wohlgebohren
in
Cassel.

frey.1


Erfurt den 29. August 1824.

Indem ich von Zeit zu Zeit Nachrichten von Deiner Thätigkeit im Fache unserer geliebten Tonkunst erfahre, so mache ich daraus den für mich sehr angenehmen Schluß, daß Du Dich im Ganzen nach wohlbefinden mußt, was ich um Dir selbst und der Der Deinigen, wie um der Kunst willen Dir noch recht lange herzlich wünschen will. Ich selbst gehe denn so meinen alten unbequemen Weg fort.
Als ich das lezte Mal das Vergnügen hatte, Dich zu sehen, erwähntest Du mir: daß Du Willens wärest, Dein Jüngstes Gericht neuerdings zu revidiren und vielleicht umzuarbeiten. Ich entsann mich dieser Deiner Äußerung besonders wieder, als vor einige Zeit mir hier ein Bekannter2 und O.B.3 erzählte, daß er schon gleich bei Deiner ersten Aufführung des J.G allhier so viel Antheil daran genommen habe, daß er aus eigenem Antriebe angefangen hätte, den ihm mißfälligen Text, ganz sylbenweise, nach der Composition umzuarbeiten; was ihm aber bald, aus Mangel an Einsicht in die Partitur, zu schwer geworden sey, so daß er davon abgestanden ist.
Er ist übrigens durch lange Übung, hervorgegangen aus der sorgfältigen Bearbeitung zahlreicher kleinerer Poesien, ein sehr geschickter Dichter, besonders Verskünstler; und hat auch Einsicht in die Musik, so daß er zu solchen Arbeiten vorzugsweise fähig seyn dürfte. Als Beweis lege ich Dir noch von ihm bey: 1) einen katholischen Meßtext, zunächst bestimmt für eine Composition der lateinischen Messe von unserm O.B. dem Cantor Müller allhier; doch passend vielleicht auf alle Compositionen derselben; selbst auch theilweise. 2) und 3) zwey ganz verschiedene Texte4, untergelegt einer 4) vom Professor Schorch allhier gefertigten, und auch von unserm Freund Müller componirten Cantate. Diese Beylagen bitte ich mir zurückzuschicken.
Wenn Du nur zur Umarbeitung Deines Jüngsten Gerichtes Dich mit ihm vereinigen wolltest, um einander wechselseitig in die Hand zu arbeiten, so ist er dazu noch jetzt bereit, und er würde z.B. in diesem Falle sich nächstens das Vergnügen machen können, Dich auf eine kurze Zeit zu besuchen, wenn Du mir darüber antworten wolltest. Beehrte mich also recht bald mit einer freundlichen Antwort.
Viel herzliche Empfehlungen an Deine liebe und verehrte Gattin.

Dein
treuer Freund und O.B.
MGFischer.

Autor(en): Fischer, Michael Gotthard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Müller, Johann Immanuel
Erwähnte Kompositionen: Müller, Johann Immanuel : Kantaten
Müller, Johann Immanuel : Messen
Spohr, Louis : Das jüngste Gericht
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1824082943

Spohr



Das letzte überlieferte Schriftstück dieser Korrespondenz ist ein Zeugnis von Spohr für Fischer, 16.11.1820. Aus dem Brief seines Sohns Carl Fischer an Louis Spohr, 31.10.1826 folgt, dass Michael Gotthard Fischer Empfänger der Subskriptionseinladung zum Klavierauszug von Spohrs Oratorium Die letzten Dinge war, dessen an ihn gerichtetes Exemplar derzeit verschollen ist.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts unten der Poststempel „ERFURT / 29. AUG“, auf der Lasche des Briefumschlags der Stempel „2SEP18[24}“.

[2] Noch nicht ermittelt.

[3] Abk. f. freimuarerischen „Ordensbruder“ (vgl. Philippe A. Autexier, Lyra Latomorum. Das erste Freimaurerliederbuch. Masonica über Haydn Mozart Spohr Liszt, pdf-Version nach dem Typoskript im Deutschen Freimaurermuseum Bayreuth, S. 76).

[4] „Texte“ über einem längeren, gestrichenen Wort eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.07.2022)