Autograf: Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig (D-LEsta), Sign. 21070 C.F. Peters, Leipzig, Nr. 850, Bl. 145

Ein junger Mann von 25 Jahren sucht Anstellung bei einer Bühne.
Seine Gestalt ist wohlgerathen und von der passendsten Größe.
Seine Singstimme steht im Baßton, hauptsächlich im tiefen, doch hat sie die gesezmäßige Höhe C – ē. Sie ist rein, sonor und biegsam; geübt während fünf Jahren auf der Kreuzschule zu Dresden unter Weinlig und im Chor von ital u deutscher Oper unter Morlacchi u Weber, dann in Leipzig im Pauliner Sängerverein. Er hat daher Fertigkeit, Sicherheit im Treffen und Opernroutine, ist auch vertraut mit dem Theoretischen der Musik.
Seine Hochstimme ist wohlklingend, deutlich u. vernehmlich. Seine Anlage zum Darstellen ist nach einstimmigem Zeugnis Aller die ihn kennen besonders hervorstehend. Was seine wissenschaftliche Bildung betrifft, so hat er drei Jahre in Leipzig Philosophie und schöne Künste, zulezt besonders Dramaturgie studirt und liest den Sophokles und den Shakespeare in der Ursprache.
In Hinsicht auf Sittlichkeit so ist er unbescholten und ohne Schulden; er kann sein akademisches Sittenzeugnis unverzüglich erhalten.
Er hat keine äußern Beweggründe als vielfältige Aufforderungen von Seiten vieler Freunde: Gelehrte und Künstler, und es ist ganz sein freier Entschluß.
Als Proberollen hat er einstudirt den Leporello im Don Juan, mit welchem er zuerst aufzutreten wünschte; dann auch den Don Juan; den Sarastro in der Zauberflöte; den Kaspar im Freischütz; den Ceorberti1 in Jetollerje besser2 und den lustigen Schuster. Im rezitierenden Schauspiel wünschte er Charakterrollen.
Er ist bereit nach gegebenen Proberollen die Schule zu machen und will sich daher nur auf einer als ausgezeichnet anerkannten Bühne bilden.
Bei Aussicht zu einer Anstellung würde er sich sogleich der Probe unterwerfen und bittet in diesem Fall um Nachricht, jedoch wenigstens bis Michaelis unter der Adresse
 
M.Ch.G.
Reichels Garten
 
Leipzig d. 18ten August
1824.



Spohrs Antwortbriefe vom 04.09.1824 und 28.09.1824 sind derzeit verschollen.
Aus Spohr an Wilhelm Speyer, 20.09.1824 und 28.09.1824 folgt, dass es sich bei dem Autor M.Ch.G. um einen Sänger Schöne handelt.
 
[1] Sic! Der tatsächliche Rollenname ist Ceberti.
 
[2] Une folie von Etienne Nicolas Méhul.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (23.01.2017).