Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck 1: Axel Beer, „Gedankenaustausch über Webers Popularität zwischen Carl Friedrich Peters und Louis Spohr”, in: Weber-Studien 1 (1993), S. 218-223, hier S. 221 (teilweise)
Druck 2: Axel Beer, Musik zwischen Komponist, Verlag und Publikum. Die Rahmenbedingungen des Musikschaffens in Deutschland im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, Tutzing 2000, S. 155, 174, 225 und 238 (teilweise)

Herrn Hofkapellmeister Spohr
Wohlgeb.
Cassel

Frey.


Leipzig den 5. July. 1824.

Werthester Freund

Meinen Dank für mir gesandte Manuscripte und für die welche Sie mir noch senden wollen.
Daß Sie sich von André nicht wieder haben beim Rock Zipfel zupfen lassen, so wie bei Ihrem 9ten Concerte1, – daran haben Sie sehr wohl gethan, warum wollen Sie auch bei andre Verleger gehen, so lange ich alles thue um Sie zufrieden zu stellen, Ihnen bringt es keinen Nutzen und mir ist es unangenehm wenn Ihre Sachen zerstreut werden, auch denken die Leute gleich arges, denn wie Ihr 9tes Concert bei André erschien, haben mir eine Menge geschrieben, wie es käme daß ich es nicht gedruckt habe, da ich jetzt doch alles von Ihnen verleg[e,] nun und die Rockzipfel Geschichte konnte ich doch nicht jed[em] erzählen.
Für angezeigte 6. Werke habe ich Ihnen Rth. 760 – gutgeschrieben und werde diese Schuld schon zu Ihrer Zufriedenheit berichtigen, lieb wird es mir aber sein, wenn Sie mir erlauben, daß ich solche in einigen Baarsendungen und nicht auf einmal abmache, denn außer der Ostermesse wo viel Geld bei mir eingeht nun aber auch schon wieder forrt ist, wird es meiner Casse selten so wohl, daß ich solch einen Posten auf einmal herausnehmen kann2, zum sammeln kann ich nun einmal nicht kommen, denn fast kein Tag vergeht ohne Ausgaben.
Ich wollte Sie hätten mir das Honorar nicht in Summe sondern bei jedem Werke besonders angegeben, denn nun weiß ich nicht wie viel mir jedes Werk kostet; kann also nicht berechnen wie solches rentirt.
Ersuchen Sie doch Ihren H. Bruder, daß er mir seine Wünsche hinsichtlich des Honorars mittheile, ich weiß ja sonst gar nicht was ich ihm senden soll und er möchte doch ihn und mich zufrieden stellen.
Bei Herausgabe der Manuscripte werde mit dem Doppelquartett und einem Potpourri anfangen, so wie mit dem arrangirten Quintett, welche drey Sachen ich in Händen habe, die andern Werke werden Sie mir schon senden wenn Sie ganz fertig sind, auf die Duetten freue ich mich, weil es daran in unserer Zeit fehlt und danke Ihrer lieben Frau nochmals daß sie Sie zu deren Fertigung gestimmt hat; das Solo Quartett kann zuletzt folgen, denn mit den Sachen Solo Quartetten hat man seine Noth und noch wollen die Leute nicht an Ihr letztes Op. 61. was so schwer sein soll, concertirende Quartetten sind beliebter.
Von dem Doppelquartett müßen Sie mir späterhin die Partitur auf einige Zeit borgen, denn solch ein Werk will ordentlich corrigirt sein und dazu ist die Partitur nothwendig.
Wegen dem Titel zum Doppelquartett werde ich einen Rath zusammen rufen um einen guten französischen oder italienischen Titel herauszubringen.
Haben Sie denn No. 24 der musikal. Zeitung gelesen? in selbiger steht eine Recension über die Jessonda welche sehr zu deren Lobe und recht ehrlich gemacht ist, da stehts was ich habe sagen wollen, aber der Recensent hat es besser von sich geben können.3
Apropos! wie soll ich denn verstehen was Sie mir geschrieben haben, daß nehmlich der Künstler beim Schaffen eines Werks, bloß sein Werk vor Augen habe und nie an fremden Vortheil dabei denken könne; Sie werden doch nicht glauben, daß ich eine niedre Ansicht habe oder so sehr von der Vortheilsucht besessen sey um zu verlangen daß sich der Künstler nach mir richten solle. Vom Gewinn muß ich leben, wäre aber der Gewinn mein einziges Streben, so würde ich ganz anders manövriren, so aber habe auch ich etwas besseres vor Augen und wenn der Stolz dabei im Spiele ist, so ist es ein verzeihlicher Stolz. Denken Sie denn nicht daß es einen Verleger, mit einem Bestreben wie das meinige, kränkt, wenn er sieht daß man sich um Opern à la Freyschütz reiße, während ein Faust, der von allen die ihn kennen als ein klassisches Werk gepriesen wird, ruhig da liegt, ich mache mir den Kukuk draus ob ich bisweilen an einem Werke etwas verdiene oder nicht, denn an allen kann man nun einmal nicht verdienen, aber ärgern thut es mich, wenn ich etwas gutes drucke und etwas gleiches aber minder gutes weit mehr vorgezogen wird, ja oft kommt selbst die Freundschaft für den Componisten noch zur Vermehrung dieses Aergers, denn wen ich z. Beisp. aus Ihrer Jessonda gegangen bin und so seitwärts hörte wie man solche wie immer lobte dabei aber die Bemerkungen jenes Rezensenten (oft nur nicht so zart) machte, da wurmte es mich und immer dachte ich dabei, wie leicht es Ihnen hätte sein können, solches zu hintertreiben und die Oper durchgehends so anziehend wie in den mehrsten Theilen zu machen, sobald Sie sich hätten entschließen können, etwas mehr an das Publikum zu denken; s'hilft nun einmal nichts sondern in der Welt muß eins dem andern zu gefallen leben, übrigens braucht Ihre Composition ja gar nicht darunter zu leiden, denn was das größere Publikum betrifft, so haben Sie ja bloß in der Form darauf Rücksicht zu nehmen, kurz denken Sie von mir wie Sie wollen, ich kenne mich und weiß daß die Künstler nur immer durch die böse Brille betrachten und sie schönen Seiten eines Verlegers nicht erkennen wollen, daher raisonnire ich auch immer fort, damit das Publikum einen recht allgemein gefallenden Rübezahl4 erhalte; es wird dem Freund Spohr schon auch reitzen, [wenn] in allen Theater Städten der Rübezahl an den Straßen Ecken klebt, denn der Mensch bleibt Mensch selbst wenn er ein Künstler ist.
Seit 14. Tagen wohne ich in meinem neuen Logis in der Vorstadt, wo es so bequem und in allen Theilen so hell und freundlich ist, daß ich mich, gegen mein bisheriges düstres Stadt Logis, wie im Himmel befinde, habe übrigens auch schon wieder eine Hausnoth, indem ein junger Advokat der mich öfters besuchte, sich in meine Hausvorsteherin Madame Müller verliebt hat und sie heyrathet, wogegen sich freylich nichts einwenden läßt, sie wird auch einige Zeit bei mir bleiben bis ihre häußliche Einrichtung gemacht ist, inzwischen bleibt mir die Noth eine andre zu suchen und einzurichten.
Bald wird sich nun entscheiden ob ich meinen Reiseplan ausführen und eine Gesundheitsreise von einigen Wochen möglig machen kann, noch aber liegt es im dunkeln.
Vielmals grüßt Sie und liebe Ihrige

Ihr herzlicher Freund
Peters.

P.S.
wäre es nicht besser wir zuerst das Potpourri für Violine und Violoncell herausgäben, denn von diesem ist schon eine gute Rezension5 da und mit dem Violine Potpourri hat es noch Zeit, da jetzt erst Ihr 10tes Concert6 erschienen ist; ich glaube Sie werden mir beistimmen und vermutlich aus letztem Grunde.
Sehen Sie zu Ihre Jessonda nach Berlin zu bringen.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Peters, 29.06.1824. Spohr beantwortete diesen Brief am 17.07.1824.

[1] Op. 55.

[2] Hier gestrichen: „der“.

[3] „Ueber Jessonda. Leipzig den 19. May”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 26 (1824), Sp. 390-395.

[4] Der Berggeist.

[5] „Kassel, den 16. März 1824”, in: Berliner allgemeine musikalischen Zeitung 1 (1824), S. 189f., 196f. und 203ff., hier S. 205.

[6] Op. 62.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (22.12.2016).