Autograf: Bis etwa 1943 im Besitz von Werner Wittch, danach Kriegsverlust (vgl. Druck, S. 14)
Druck: Louis Spohr, Briefwechsel mit seiner Frau Dorette, hrsg. v. Folker Göthel, Kassel und Basel 1957, S. 63ff.
Frankfurt, den 14. Juni 24
Geliebtes Weibchen,
In Guhrs Wohnung schreibe ich Dir einige Zeilen, um Dir von den zwei hier verlebten Tagen einige Nachricht zu geben. Am Sonnabend war also Jessonda. Das Theater war ungeheuer voll, die Aufmerksamkeit und Stille, mit der alles angehört wurde, daher bewunderungswürdig. Die Aufführung war aber im ganzen höchst mittelmäßig, und ob mir es gleich Freude machte, einmal von weitem zuzuhören, und ich manche Effekte dadurch kennen lernte, die mir früher entgangen waren, so litt ich doch auch wieder sehr, wenn falsche Tempi genommen wurden oder das Arrangement gar zu zweckwidrig war. Die Besetzung ist nicht einmal so gut, wie sie sein könnte. Die beste Sängerin die sie hier haben, die Bamberger, ist nicht darin beschäftigt; wird aber nun die Jessonda bekommen. Die Scholz1 tut, was sie kann; das ist aber auch blutwenig. Sie mißfiel dem Publiko so, daß nach der Arie im III. Akt förmlich gezischt wurde, während alle andern Nummern fast ohne Ausnahme lebhaft beklatscht wurden, am meisten die Ouvertüre, das Finale des ersten Akts, Nadoris Arie im zweiten, desselben Duett mit Amazili und nach dem Schluß der Oper, was mir galt, da das Publikum wußte, daß ich anwesend sei. Die Rothhammer ist ein langes, derbes Stück, bei der es immer armsdick herauskommt! Nieser ist schwach, noch schwächer Größer, der eine tiefe Tenorstimme hat und mit dieser in die Partie des d'Acunha einen ganz andern Charakter legt, als wir von Hauser gewohnt sind. Lopez und der indische Offizier waren schauderhaft. Die Chöre und das Orchester gingen aber gut. Das letztere ist indessen viel roher und rauher geworden, wie es zu meiner Zeit war, und hat gar kein p. mehr. Die Gesangstimmen waren daher auch immer zu sehr gedeckt. Die Oper ist in Dekorationen und Garderobe reich ausgestattet; das Arrangement ist aber schlecht. Mit denselben Mitteln ließe sich unendlich mehr tun. Doch kennt mans hier nicht besser und ist daher zufrieden. Die Oper geht auch von Vorstellung zu Vorstellung immer schlechter und auch sagen die hiesigen Kaufleute, die sie in Leipzig hörten, selbst, daß sie miserabel gegeben würde. Das sagt auch André, der sie dort gehört hat. — Gestern morgen fuhren wir zu viert, Speyer, Derville2, Guhr und ich nach Darmstadt, besuchten einige Leute, sahen nachmittags das Museum und die Bildergalerie und hörten abends im neuen, sehr schönen Theater Olympia. Über diese tolle, wie von einem Verrückten geschriebene Oper, sowie von der Aufführung mündlich. Im Zwischenakt ging ich auf das Theater, um Backofen und einige andere Musiker zu sprechen. Auf einmal kam der Großherzog zu mir, bewillkommnete mich sehr freundlich und unterhielt sich wohl eine Viertelstunde mit mir. Der Jessonda und meines Briefes3 erwähnte er aber nicht. In der Nacht fuhren wir wieder zurück. Heute mittag essen wir hier bei Pensa. Abends machen wir Musik bei Guhr. Morgen bleiben wir ruhig in Offenbach. Mittwoch essen wir bei André und abends wohnen wir einer Aufführung des Cäcilienvereins bei, die Schelble meinetwegen angesetzt hat. — Heute oder spätestens morgen erwarte ich einen Brief von Dir. Herzliche Grüße der Mutter4 und den Kindern.
Dein Louis.
Autor(en): | Spohr, Louis |
Adressat(en): | Spohr, Dorette |
Erwähnte Personen: | André, Johann Anton Backofen, Johann Georg Heinrich Bamberger, Sabine Größer, Adam Guhr, Carl Hauser, Franz Ludwig I Hessen-Darmstadt, Großherzog Nießer, Joseph Orville, Philipp d' Pensa, Bernhard Rothammer, Marie Schelble, Johann Nepomuk Schulze, Josephine Speyer, Wilhelm Spohr, Ernestine |
Erwähnte Kompositionen: | Spohr, Louis : Jessonda Spontini, Gaspare : Olympia |
Erwähnte Orte: | Darmstadt Frankfurt am Main Offenbach |
Erwähnte Institutionen: | Cäcilienverein <Frankfurt am Main> Hoftheater <Darmstadt> Stadttheater <Frankfurt am Main> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1824061400 |
Dieser Brief folgt in dieser Korrespondenz auf Louis Spohr an Dorette Spohr, 12.06.1824. Dabei überschnitt sich der Postweg dieses Briefs mit Dorette Spohr an Louis Spohr, 15.06.1824. Seinen nächsten Brief an seine Frau schrieb Louis Spohr am 18.06.1824.
[1] Wohl Josefine Schulze (vgl. auch Göthels Kommentar, S. 97, Anm. 8).
[2] Wohl Philipp d'Orville (Göthel nimmt Georg d'Orville an, S. 97, Anm. 11).
[3] Vgl. Spohr an Ludwig I. von Hessen-Darmstadt, 08.10.1823.
[4] Spohrs Mutter Ernestine war gerade zu Besuch in Kassel, wie aus Dorette Spohr an Louis Spohr, 15.06.1824 hervorgeht.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.06.2016).