Autograf: Bis etwa 1943 im Besitz von Werner Wittch, danach Kriegsverlust (vgl. Druck, S. 14)
Druck: Louis Spohr, Briefwechsel mit seiner Frau Dorette, hrsg. v. Folker Göthel, Kassel und Basel 1957, S. 62f.

Offenbach Sonnabend früh.

Herzlich geliebtes Weibchen,

Wie fühle ich doch erst recht lebhaft, wie unentbehrlich Du mir zum Lebensglück bist, wenn ich so auf einige Zeit von Dir getrennt binl Und wie herzlich freue ich mich auf den Augenblick des Wiedersehens! Daß ich diesen recht bald herbeiführen werde, verspreche ich Dir. Auf der Reise ging es mir recht glücklich. Bis Marburg, also mehr wie die Hälfte des Wegs, saß ich mit Pistor und einem Studenten aus Kassel (beide ganz gute Gesellschafter,) beständig in den Neben-Schaisen1, die zwar oft sehr unelegant, aber doch ziemlich bequem waren. Während der Nacht schliefen wir
alle drei recht ruhig und ich fühlte mich daher gestern morgen 3 Uhr bei unserer Ankunft in Marburg bei weitem nicht so erschöpft wie die, die im großen Postwagen sehr eng zusammengepreßt und aufgerieben von der unerträglichen Hitze gewesen waren. Nun aber wurden wir drei, weil ebensoviel Passagiere in Marburg abgingen, in den großen Wagen komplimentiert und unsere Wonne hatte ein Ende. Indessen war ich durch einige Gläser Wein mit dem Kondukteur2 bekannter geworden und wußte es so zu karten, daß er mich zu sich ins Cabriolet3 nahm, worin ich mich auch bis Frankfurt behauptete. Und so kam ich denn, ohne zu sehr erschöpft zu sein, um 6 Uhr auf dem Posthofe an, wo Speyer und Guhr bereits auf mich warteten. So wie ich meine Sachen hatte, ging es gleich hieher, wo ich die freundlichste Aufnahme und alle möglichen Bequemlichkeiten fand.
Heute wird Jessonda gegeben; Speyer war gestern in der Probe und sagte, es werde vortrefflich gehen. Ich bin sehr neugierig. Morgen fahre ich mit Speyer zur Olympia nach Darmstadt und in einigen Tagen werde ich auch in Frankfurt Euryanthe hören, also recht vieles schnell hintereinander. Den Montag schreibe ich Dir wieder über Jessonda und Olympia und bestimme dann auch den Tag meiner Zurückkunft.
Die Sachen waren sehr gut gepackt und sind völlig unversehrt. Es wird mir schwer werden, alles so wieder in den Koffer zu bringen.
Speyers grüßen Dich und die Kinder auf das herzlichste.
Von mir grüße die Mutter.4
Lebe wohl, Du liebes Weib. Bald komme ich wieder.

Dein Louis.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Spohr, Dorette
Erwähnte Personen: Guhr, Carl
Pistor, F.
Speyer, Wilhelm
Spohr, Ernestine
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Jessonda
Spontini, Gaspare : Olympia
Weber, Carl Maria von : Euryanthe
Erwähnte Orte: Darmstadt
Frankfurt am Main
Marburg
Offenbach
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Darmstadt>
Stadttheater <Frankfurt am Main>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1824061200

Spohr



Der letzte überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Dorette Spohr an Louis Spohr, 24.02.1822.
Das ermittelte Datum dieses Briefs ergibt sich aus Spohrs zwei Tage später am Montag, 14.06.1824 geschriebenen Brief an Dorette Spohr. Der Postweg des zweiten Briefs überschnitt sich mit Dorette Spohrs Antwortbrief vom 15.06.1824.

[1] Hier wohl Beiwagen, zusätzliche Wagen eines Pferdepostkurses, wenn der Hauptwagen bereits besetzt war (vgl. Reisepost. Unterwegs mit Kutsche und Postauto. Dokumentation für Lehrpersonen, Bern 2006, S. 6).

[2] Schaffner (vgl. ebd., S. 7).

[3] „Kleine, meist zweiplätzige Kutsche mit Verdeck oder Vorderteil eines Wagens mit Verdeck” (ebd., S. 6).

[4] Wie aus Dorette Spohrs Antwortbrief hervorgeht, war Spohrs Mutter Ernestine zu Besuch in Kassel.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.06.2016).