Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck 1: Axel Beer, „Gedankenaustausch über Webers Popularität zwischen Carl Friedrich Peters und Louis Spohr”, in: Weber-Studien 1 (1993), S. 218-223, hier S. 220f. (teilweise)
Druck 2: ders., Musik zwischen Komponist, Verlag und Publikum. Die Rahmenbedingungen des Musikschaffens in Deutschland im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, Tutzing 2000, S. 60 und 103 (teilweise)

Leipzig d. 4 Juny 1824

Werthester Freund

Noch liegt Ihr Brief vom 18. Merz vor mir, folglich haben Sie seit 2 Monaten nichts von mir vernommen, anfangs pressirte meine Antwort nicht und späterhin hatte ich keine Zeit mehr um daran denken zu können, denn eine Leipziger Ostermesse ist und bleibt für den hiesigen Kaufmann die schlechteste Jahreszeit – und wenn nur bloß die vermehrte Arbeit drückte, so würde dies ein wohlthuender Druck sein, aber leider geht ein großer Theil der kostbaren Zeit durch unnützes Schwatzen verlohren, denn alle bekannten Fremden wollen sich das Vergnügen nicht entziehen ihren Besuch zu machen und rauben nur dadurch gar viel Zeit und matten oft durch zu viel Unterhaltung recht ab.
Seit einigen Tagen kehrt nun die Ruhe wieder und sehr überrascht war ich am letzten Sonntage als ich ins freye kam und sah, daß Korn gewachsen war, denn seit den Osterfeiertagen bin ich nicht aus der Stadt gekommen, waren Arbeit und mitunter schlechtes Wetter schuld daran.
Ich fange nun an mich an die liegen gebliebenen Briefe zu machen, worunter der Ihrige einer der ersten ist und den ich gleich vornehmen muß weil gestern Ihr Concert fertig wurde, welches Sie mit einer heut an H. Hornthal abgehenden Sendung erhalten. Ihre Ouverture z. Jess. f. Orchester wird in 3 Tagen fertig und folgt mit erster Gelegenheit.
Daß ich die mir gesandten Gesänge von Baldewein, unter den mir gemeldeten Umständen, behalte, versteht sich, zwar mache ich mir gar nichts mehr aus Liedern, drucke auch fast gar keine mehr, sobald solche nicht einen nahmhaften oder beliebten Autor haben, indeß in Fällen wie jetzt bei Baldewein mache ich Ausnahme und habe dessen Lieder auch schon in Arbeit gegeben.
Ihrer lieben Frau meinen schönen Dank, daß sie Sie zur Composition eines Heftes Duetten angehalten hat, machen Sie solche nur nicht so grausam schwer, denn sonst schießen wir wieder neben den Zweck zu welchem ich die Duetten haben will.
Die Eurianthe haben wir in Leipzig bis heute noch nicht gehört, warum, weiß ich nicht, da solche Küstner doch schon längst beitzt. Die Urtheile über diese Oper sind ziemlich einstimmig und den besten Faden hat dabei ohnstreitig der Verleger André gesponnen denn man konnte es ja nicht erwarten den Nachfolger des Freyschützen zu erhalten; ich der ich gar keinen Verkauf habe, habe doch 80 Exempl. davon gebraucht weil die Leute wie besessen darauf waren und Steiner konnte gar nicht anders als Eurianthe drucken, doch nun ist es auch auf einmal wie abgeschnitten und ich fürchte daß Steiner, aus Sucht nach zu viel Gewinn, bei den zu vielen Arrangements aus dieser Oper, einen Theil des Gewinns beim Klavierauszuge wieder zusetzen wird denn nun hat man in demselben keinen Freyschütz gefunden und nun ists mit dem Auszuge u. Arrangements aus.
Wenn ich am Ende nur nicht noch am schlimmsten dabei wegkomme, denn ich soll Webers 3te neue Oper (Die Pindos) in Verlag erhalten und nun ist durch die Eurianthe der Rausch etwas verschwunden.
Von der Jessonda kann ich noch gar nichts sagen, gedruckt habe ich eine Menge und überall versandt, ob sie aber verkauft werden, ersehe ich erst künftiges Jahr wenn die Abrechnungen von diesem Jahre eingehen, wäre sie schon auf mehrern Orten, namentlich Berlin, Hamburg etc. aufgeführt, so könnte ich vielleicht aus Nachbestellungen etwas auf den Abgang schließen, so aber ist alles stille; suchen Sie daher ja, daß solche auf mehrern Theatern komme, denn wenn eine Oper nicht auf vielen Orten aufgeführt wird (oder kein Freyschütz vorangegangen ist) so geht es mit dem Klavierausz. immer langsam.
Da Sie nun aber mit dem Honorar für die Oper unmöglich so lange warten können bis ich über's Jahr sehe wie solche geht und darnach das Honorar bestimmen kann so sende ich Ihnen dafür immer beifolgende Rth. 200 – (in der Hoffnung daß solche besser wie der Faust gehe der gar zu schwer ist) also das doppelte was Sie dafür verlangt haben, ich glaube somit als ein ehrlicher Verleger zu handeln und komt die Oper, wenn solche mehr aufgeführt wird, in eine brillante Aufnahme, so daß mir solche einen ungewöhnlichen Absatz macht, so sende ich Ihnen dann gern noch etwas dafür, denn wenn ich verdiene, lasse ich andre gern auch laben.
Nur fürchte ich, daß Sie bei der Jessonda Ihren Zweck zu sehr erreichen und bloß ein Werk für das bessere leider aber kleinere Publikum geschrieben haben, wobei der Text das seinige vorzüglich mitwirkt, denn der Oper fehlt was man nun einmal durchaus verlangt wenn sie in vielen Händen gefallen soll – die einzelnen Stücke, welche allgemeiner ausführbar sind. Die mehrsten Stücke der Jessonda sind mit Recitativen, Chören allein mit einzelnen gefälligen Sachen die man so gern nachsingt, ist sie zu wenig ausgestattet. Ich habe solches in dieser Messe recht wahrgenommen, die Oper wurde mehrmals aufgeführt und viele Freunde kamen darauf zu mir, allein kaum 2 oder 3. Klavierauszüge wurden gekauft, sondern alle begnügten sich mit den beiden Duetts, den Boleros und Soldatenchor und meynten daß ihnen die Recitative u. Chöre nicht dienen könnten und wollte ich diese Sachen nicht einzeln geben, nun so druckt sie ein andrer und ich sitze mit meinem ganzen Auszuge da.
Apropos! Härtel bat mich doch um etwas aus der Jessonda zu einer Beilage in die Musik. Zeitung wozu ich ihm den Soldaten Chor1 gab und diese Beilage verkauft er nun für 2. Rth., ich mache mir nichts daraus, aber wie könnte ich an des reichen Härtels Stelle so etwas Kleinliches thun.
Mit vorhergehendem will ich nun keineswegs gesagt haben, daß Sie eine Oper ohne Recitative und Chöre schreiben sollen, aber mehr einzelne Sachen müssen Sie hinein bringen, Sachen die nicht erst mit einem Recitativ verwebt sind, sondern ganz für sich allein da stehen, wie Mozart in seinen Opern soviele hat. Mögt Ihr Künstler auch alle mich als mich als einen nichts von der Musik verstehenden Verleger halten, meinetwegen, ich weiß doch besser wie Sie alle, was die Welt gern hat, ohne daß ich bei meinen Unternehmungen auf den ungebildeten Haufen Rücksicht nehme und erzwingen läßt sich nun einmal nichts, sondern Lockvögel müssen ausgehangen werden um dadurch zu den bessern überführen und solche Vögel sind in Opern kleine gefäkkige Stücke, die jeder nachsingt und dann von selbst auch die bessern zu singen verlangt. Also lieber Freund, sehen Sie hübsch darauf daß Sie in Rübezahl2 das Publikum mit solchen Dingergen schmeicheln, Sie vergeben sich dadurch gar nichts, denn Ihr Werth bleibt immer anerkannt, nebenbei aber gewinnen Sie noch mehr Liebe bei den Nichtkünstlern deren so viele sind, daß sie am Ende doch alles überschreien wie bei dem Freyschütz, so daß Sie also von dem Publiko eben so geliebt wie von den Künstlern geehrt werden und endlich findet sich auch der Verleger wohl dabei – und an diesen Freund müssen Sie bei jeder Composition hübsch denken.
Ich habe mich über diesen Gegenstand etwas weit ausgelassen, allein ich dachte daß es besser zu viel als zu wenig wäre, denn ich habe schon einen Vogel pfeifen hören, daß es mit dem Texte d. Rübezahl wieder eine etwas gedehnte Geschichte sey und es ihm an Solo Partien mangele, welche doch Knalleffekte bei einer Oper bei einer Oper sind und da Freund Spohr einen festen Kopf hat, da dachte ich, mußt's ein bischen derb schütteln damit er sich nach den Sachen die ich und andre wünschen umkuke und eine recht unterhaltende rasche Oper bearbeite.
Prinz hat mir noch keine Manuscripte für Sie übergeben, so oft er mich sieht, sagt er mir aber daß er mir sie bringen wolle.
Unsre Messe ist diesmal so gut gewesen als sie seit mehrern Jahren nicht war und wenn auch nicht alles verdiente, so war es doch erquickend, wieder einmal heitere Gesichter zu sehen und nicht alles lamentiren zu hören, nur die Buch und Musikhändler hatten keine große Ursache zum heiter sein, denn in beiden Fächern ist das vorige Jahr wirklich nicht gut gewesen und wie Heuschrecken kamen die Krebse (wie die zurückgesandten Artikel genannt werden) angezogen, wir sind aber zum Theil schuld, weil gar zu viel gedruckt wird und müßte ich meine Leute nicht beschäftigen, ich schränkte mich gern ein, denn der Musik wird zuviel und die Mehrzahl und die Mehrzahl schlechter Sachen unterdrücken wenigstens auf vielen Orten die guten.
Für mich war diese Messe übrigens nicht angenehm, indem mich die Hypochondrie (eine Nachwehe vom vorigen Jahre3) gepakt hatte, seit ein paar Monaten habe ich nur mit Anstrengung die Arbeiten betreiben können und zwingen mußte ich mich um im Umgange nicht verdrüßlich zu sein, durch strenge Diät und möglichste Zerstreuung in den freyen Stunden hat es sich wieder gebessert und daß ich heute gerade recht wohl bin, können Sie aus meinem langen Briefe abnehmen, denn einen so langen hat seit kurzem niemand bekommen. Mein Körper und namentlich mein Nervensystem scheint nun erst anzufangen die Folgen des vorigen Jahres zu äußern und daher habe ich mir vorgenommen etwas für meine Gesundheit zu thun und eine kleine Reise in diesem Sommer zu machen; ich stelle mir solche als eine gute Kur vor und die Aussicht darauf stärkt mich jetzt schon, ob aber aus der Reise etwas werden wird, weiß ich noch nicht, denn in einigen Wochen verlasse ich meine Wohnung um mein neues Logis in der Vorstadt zu beziehen wo ich künftig Sommer und Winter wohnen werde und dabei giebt es einige Zeit zu thun und späterhin giebt es wieder Arbeit um die Michaelis Neuigkeiten zu rechter Zeit fertig zu bringen, damit künftiges Jahr über diesen her etwas dafür einkommen kann.
Schlüßlich bitte ich Sie noch mir nun das Doppel Quartett nebst arrang. Quintett bald einzusenden, denn solche sollen auch vor Michaelis noch aufs Wasser und müssen daher nun in Arbeit.
Das Potpourri aus Jessonda4 werden Sie mir schon senden wenn Sie es nicht mehr behalten wollen.
Ich grüße Sie und alles bei Ihnen recht vielmals und bleibe

herzlich Freund
Peters.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Peters, 18.03.1824. und 28.03.1824. Spohr beantwortete diesen Brief am 29.06.1824.

[1] „Chor der Soldaten aus der neuen Oper Iessonda, von Hrn. Kapellmeister L. Spohr”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 22 (1824), Beilage zu Heft Nr. 6 (05.02.1824), nach Sp. 100.

[2] Der Berggeist.

[3] Peters war verwitwt.

[4] Gestrichen: „für“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (22.12.2016).