Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Ulrich Konrad, „Quellen zur Musikgeschichte Göttingens im 19. Jahrhundert. Die Briefe Johann August Günther Heinroths an Johann Friedrich Naue, Robert Schumann und Louis Spohr“, in: Göttinger Jahrbuch 35 (1987), S. 215-242, hier S. 234f.

Sr. Wohlgeboren
Dem Herrn Capellmeister Spohr
in
Cassel


Verehrtester Freund,

die traurige Nachricht von dem Tode Ihrer lieben Schwester1 hat mich und meine Frau betrübt. Sie war meine Frau Gevatterin und zwar die erste, mit der ich in meinem Leben ein Kind aus der Taufe gehoben habe; es sind bereits 19 bis 20 Jahr. Hier kann man wohl mit Schiller sagen: das Unglück schreitet schnell! Vor einigen Tagen hätte ich meinen Carl an der Bräune2 verlieren können. In der Nacht wachte er auf, konnte keine Luft kriegen und wollte ersticken. nur schleunige Hilfe und Blutegel retteten ihm das Leben. So wechseln im Laufe des Lebens con- und dissonirende Harmonien ab, plötzlich tritt dann eine Rossinische Modulation mitunter ein, wodurch man wie an die Ohren geschlagen wird.
Es hat sich bei uns eine Kappe vorgefunden, die Ihnen zugehört, und die ich Ihnen übersende. Zwar hätte ich sie theuer verkaufen können, weil man glaubte, wer eine solche Kappe auf dem Kopf habe, müsse auch schön componiren können, indem so manches herrliche Tonstück darunter hervorgegangen wäre, indessen ich wußte nicht, ob es Ihnen recht sei. Hätte ich indessen in diesen Tagen Zeit zur Composition gehabt, so würde ich mich derselben auch ohne Ihre Genehmigung bedient haben.
Dem. Emilie3 hat im letzten Conzerte sehr gefallen, auch ist man von dem Spiele des Herr de Groot sehr bezaubert, welches ich ihm zu eröffnen und einen herzlichen Gruß von mir vermdelden bitte. Kann derselbe den kleinen Roland4 mit hierher kriegen, dann hoffe ich ihm ein gutes Concert arrangiren zu können; in jedem Falle erhält er von mir Nachricht über die beste Zeit, wann sein Vorhaben gut ausgeführt werden kann.
Herr Funck hat trotz unserer beiderseitigen Empfehlungen nur 130 zahlbare Zuhörer a 12 ggr gehabt. Er spielt mit ungemeiner Fertigkeit, aber mit schlechtem Tone und reißt dabei französische Witze. Der Kerl scheint ein Franzose zu seyn, der mehr amusirt als daß er rührt. Er trug zuletzt den Dudelsack5 von Romberg mit Janitscharen-, oder wie Ernst in Seesen sagt, mit Schaarenmusic vor und war sehr besorgt, daß sie nicht besetzt werden könnte, da sie doch obligat sei. Diese Sorge war indessen unnöthig. Wenn hier alles so leicht und so schön wie die Schaarenmusic gemacht werden könnte, dann wäre ich lange zufrieden. Herr Funck läßt sich Ihnen nochmals bestens empfehlen; Sie möchten doch bald nach Coppenhagen kommen.
Die Bassethörner zu den Arien aus Titus sind hier nicht anzuschaffen, indem die Partitur dieser Oper eine treue Copie der Casselschen ist. Wenn ich nicht irre, so hat der Stadtmusicus Jacobi diese Copie mir Ihrer Erlaubnis verfertigt. Es thut mir leid, daß ich Ihnen also nicht dienen kann.
Ob wir uns gleich auf den Besuch Ihrer lieben Eltern schon gestern Morgen gefreut hatten, so traf doch nur die Mutter6 erst am Abende ein, und der Vater7 blieb ganz aus. Wir wollen hoffen, ihn dennoch bald bei uns zu sehen.
Unter vielen herzlichen Grüßen an Frau Gemahlin und an die lieben Töchter besonders an die schöne Sängerin bin ich mit Achtung und Liebe

Ihr
innigergebener
Heinroth

Göttingen d 31t Mai
1824

Eine fröhliche Hochzeit!!!8



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Heinroth an Spohr, 13.05.1824. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Heinroth an Spohr, 24.11.1824.

[1] Caroline Krämer starb am 19.05.1824 im Kindbett ([Ludwig] Spohr, Spohr'sches Familienbuch. Genealogie der Familie Spohr aus Alfeld und kleine Beiträge zu einer Familien-Chronik, Karlsruhe 1909, S. 38).

[2] Diptherie.

[3] Emilie, später verh. Zahn.

[4] Sophie Roland.

[5] „ein Capriccio über schwedische Volkslieder, das sich mit dem täuschend nachgeahmten Dudelsack endigte“ („Berlin“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 16 (1818), Sp. 880ff., hier S. 880).

[6] Ernestine Spohr.

[7] Carl Heinrich Spohr.

[8] Wohl die geplante, aber erst März 1825 stattgefundene Hochzeit von Marie Prinzessin von Hessen mit Bernhard II Herzog von Sachsen-Meiningen (vgl. Druck, S. 235), zu der Spohr seine Oper Der Berggeist uraufführte.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (27.08.2021).