Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Markus Frei-Hauenschild, Friedrich Ernst Fesca (1789-1826). Studien zu Biographie und Streichquartettschaffen (Abhandlungen zur Musikgeschichte 3), Göttingen 1998, S. 129 (teilweise)

Wohlgebohrener,
Besonders Hochzuverehrender Herr Kapellmeister!
 
Im Vertrauen auf Ihre bewährte Freundschaft, nehme ich mir die Kühneit, mich in einer Angelegenheit an Sie, Verehrtester Freund, zu wenden, worüber ich keinen kompetenteren Richter kenne, - u dabei jene schöne, freundlichen Erinnerungen zu erneuern, die mir, seit ich im J. 1807 zu Gotha Sie kennen zu lernen das Glück hatte, so theuer geworden sind.
Die verwittvete Frau LegationsRäthin Fanny Nerl, wohlhaft bey Gastgeber Weber in der untern Karlsstrasse zu Cassel hat dem hiesigen Hoftheater-Comité eine Sängerin1 zum Engagement empfohlen, die noch nicht volle 18. Jahr alt, bey einem bedeutenden Theater angestellt, auch sehr musikalisch seyn soll, u – um mich ihrer Worte zu bedienen – eine ganz wundervolle schöne Stimme von bedeutender Höhe, superben Mitteltönen und Tiefe habe, alle Eigenschaften besitze, die eine Sägnerin angenenehm mache, u ein sehr solides Frauenzimmer sey.
Ohne sie uns zu nennen, sagt sie weiters von dieser Sängerin, daß dieselbe vor2 bereits 9. Monaten sich zum Theater entschloßen u in der Zeit zur Verwunderung Fortschritte gemacht, u die Parthien der Elvira im Don Juan3 u Opferfest, Constanze4 Amenaide5, Agathe im Aschenbrödel6, der Gräfin im Figaro pp zur größten Zufriedenheit, u unendlichem Beifall gesungen habe.7
Wahrscheinleich war diese Sängerin beim Kasslischen Hoftheater angestellt, u in dieser Voraussetzung ersuche ich hiermit Euer Wohlgebohrn gehorsamst u angelegenst, mr baldgefällige Nachricht geben zu wollen, ob diese Sängerin, welche nach Hamburg zu gehen willens ist, falls sie hier kein Engagement finden sollte, wirklich das ist, wofür sie Frau LR. Nerl ausgiebt, oder ob vielleicht von ihrem Talente erwartet werden dürfte, es bald zu werden; denn der Fall dürfte vielleicht nicht sehr entfernt seyn, daß die Anstellung einer jugendlichen ersten Sängerin bei hiesiger Hofbühne nothwendig würde, daher ein solcher Anstrag besonders, wenn er ein hoffnungsvolles u noch jugendliches Individuum betrifft, nicht sogleich von der Hand zu weisen ist.
Zugleich bin ich so frey, Sie im Vertrauen um gefällige Auskunft zu bitten rücksichtlich Ihrer neuesten Oper Jessonda, die mit so großem Beifalle gekrönt ist:
1.) Ob die Aufführung derselben rücksichtlich der Decorationen u Garderobe pp bedeutende Kosten verursache, oder ob man dieselbe auf Bühnen, wo die Zauberflöte, Don Juan, Ferd. Cortez, u andere große Opern im Kurse sind, vielleicht ohne große Auslagen zur Aufführung bringen könnte?
2.) Was Sie für ein Honorar (ich Reichswährung) für dieselbe festgesetzt haben?
Sehr erfreulich wäre mir‘s, wenn Euer Wohlgebohrn mir bei diesem Anlaße auch einige Ansichten dem Befinden Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin, u besonders auch von den Bildungsfortschritten jener Fräulein Tochter geben wollten, die mit dem Manuscipte ihrer dramatischen Dichtung einst dahin im goldnen Krantze so zurückhaltend u bescheiden war? Sie wissen ja, daß ich an allem, was Sie u Ihre verehrte Familie angeht, stets den herzlichsten Antheil nehme.
H KMr Fesca ist leider noch immer leidend, doch hat sich seine Gesundheit wieder so weit erholt, daß er seit einiger Zeit auch im Orchester mitwirken kann. Witzenmann hat sich, - was Sie wahrscheinlich schon wissen werden, zum 2ten male in den heil. Stand der Ehe begeben u ist vor kurzem mit einem Töchterchen beschenkt worden.
Vor ungefähr 1. Jahre hat Dlle Schulz8, Schülerin der Mad. Gervais in Kassel gastirt; darf ich fragen, mit welchem Erfolge?
Unter den freundschaftlichsten Empfehlungen an die verehrten Ihrigen einer baldgefälligen Antwort entgegensehend verbleibe mit vollkommenster Verehrung
 
Euer Wohlgebohrn
gefl. Dr u Freund XKeller
G.L.Rath u Mitglied
des HTheater-Comite‘s
 
Carlsruhe den 23. May 1824.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Keller, 17.10.1807. Spohr beantwortete diesen Brief am 29.05.1824.
 
[1] Aus Spohrs Antwortbrief geht hervor, dass es sich um deren Tochter Rosa Nerl handelt.
 
[2] „vor“ über einem gestrichenen Wort eingefügt.
 
[3] Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart.
 
[4] Rolle in Die Entführung aus dem Serail von Mozart.
 
[5] Rolle in Tancredi von Gioachino Rossini.
 
[6] Rolle in La Cenerentola von Rossini.
 
[7] Vgl. „Cassel“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 25 (1823), Sp. 708ff., hier Sp. 709 (fälschlich als Dem. Merl); „Cassel, im März“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 26 (1824), Sp. 225ff., hier Sp. 226f.
 
[8] Wilhelmine Schulz, später verh. Streit.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.05.2017).