Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Ulrich Konrad, „Quellen zur Musikgeschichte Göttingens im 19. Jahrhundert. Die Briefe Johann August Günther Heinroths an Johann Friedrich Naue, Robert Schumann und Louis Spohr“, in: Göttinger Jahrbuch 35 (1987), S. 215-242, hier S. 232

Verehrtester Freund,

Recht herzlichen Dank für Ihre frohe Nachricht und besonders dafür, daß uns Ihre Dem. Tochter1 mit ihrem schönen Gesange erfreuen will. Haben Sie doch die Güte und lassen Sie auf meine Kosten die Arie aus den Opernstimmen ausschreiben und geben Sie derselben einen Titel z.B. Arie aus einer Cantate. Hier giebt es hämische Menschen, welche, wenn sie von einer Opernarie hörten, unsinnig genug werden könnten, mir für die Zukunft die Kirche zu verweigern. Man muß Nachricht mit den Schwachen und Vorsicht vor den Bösen gebrauchen. Den Text lasse ich nicht drucken, damit man daraus nichts errathen kann, vielleicht ist Ihre Oper wohl mit italiänischen Texte versehen und dann wäre es noch besser, wenn Dem. Emilie diesen zu singen sich entschlösse. Sie glauben nicht, was es an der weltberühmten Georgia Augusta2 für – – – giebt.
Dem. Grabenstein3, obschon mit Mohren, Manschetten oder Aengsten versehen, mit einem zweiten Mozart öffentlich aufzutreten, will doch die Ehre nicht fahren lassen, die Arie mit Ihrer Begleitung zu singen. Wenn es bei Frauenzimmern noch ein größeres Fest als die Hochzeit giebt, so stellt Dem. Grabenstein diesen festlichen Tag höher. Auch von dieser Arie werde ich den Text nicht drucken lassen, damit die Leute mit feinen Nasen nichts riechen. Mundus vult dicipi, ergo dicipiatur.4
Meine gehorsamste Empfehlung bitte Herrn de Groot zu melden mit der Versicherung, daß ich mich freylich freute, seyne Bekanntschaft zu machen. Nun wir erwarten Sie Montag zum Mittagessen, versehen Sie sich also mit einem Kutscher, dessen Pferde laufen und nicht kriechen, und um Gotteswillen vergessen Sie die Violine nicht. Der liebe Gott nehme Sie und die lieben Ihrigen in seinen väterlichen Schutz, seine heiligen Engel begleiten Sie, damit Sie Ihren Fuß an keinen Stein stoßen und damit Sie heiter und vergnügt umarmen kann

Ihr
innigergebener
Heinroth

Göttingen d 11t Mai
1824.

Autor(en): Heinroth, Johann August Günther
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Grabenstein, Margaretha
Groot, David de
Zahn, Emilie
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Universität <Göttingen>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1824051144

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Heinroth. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Heinroth an Spohr, 13.05.1824.

[1] Emilie, später verh. Zahn.

[2] Die Universität Göttingen.

[3] „Sollte es sich um eine Göttinger Dilettantin handeln, käme nach den Meldelisten nur die 23jährige Margaretha Grabenstein in Frage; über diese Person konnte nichts ermittelt werden“ (Druck, S. 232).

[4] „ Mundus vult dicipi, ergo dicipiatur“ (lat.) = „Die Welt will betrogen werden, also soll sie betrogen werden“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (27.08.2021).